Nibelungenlied

Aus Epen-Zirkel-Wiki

Symposien

  • 13.08.2009 - 20:30 Uhr bei Tobias. Themen: Einführung und erste Textpassagen, Nachwort Grosse. Wir lesen Brackert: Ende 3. Aventiure.
  • 2.09.2009 - 20:30 bei Tiemo 4. und 5. Aventiure gelesen
  • 12.9.2009 - 20:00 Wanderhütte bei Dörscheid am Rhein. Bis Ende 9. Av. gelesen. siehe auch unsere Fotos
  • 30.09.2009 - 20:45 bei Tiemo. Andreas: Die Edda und das Nibelungenlied. Gelesen bis ende 14.Av.
  • 14.10.2009 - 20:30 bei Matthias. Matthias-Vortrag: historischer Kontext Siegfried-Arminius, Burgunden-Römer; Dietrich von Bern. Bis Ende 16. Av. gelesen.

Fragen, Thesen, Kurzeinträge, Literatur.

I. Fragestellungen

1. Was unterscheidet Mythologie von Religion? Wenn es im ersten Teil vom NL um mythologische Resonanz geht, stellt sich die Frage, ob hinter dieser Mythologie ein Sinn steht, eine Antwort auf die Frage nach Ursprung und Ende, oder eben Sinn auf ganz andere Weise generiert: Liebe, Treue, Kampf? Es stellt sich auch die Frage, inwiefern Epen die Roman-Funktion übernahmen, die Lukács definierte: der Roman ersetzt das in der Moderne nicht erfüllte Bedürfnis nach Transzendenz, nach einem metaphysischen Zuhause.


2. Wie wichtig ist das Treue-Motiv? Zumindest das Wort ist dominant. Was ist Treue? Wer ist treu?


3. Was baut eigentlich den übergreifenden Spannungsbogen im NL auf? Worum geht es?


4. Was für ein Held ist Siegfried (Hybris, naiv, unbescholten etc.)? Vor allem Eines: unbekümmert! - Gegenpol des "Kümmerers", des grimmen Hagen - grimm ob der Last des ständigen Bedenkens, Grübelns. Seliger Siegfried! Und überhaupt: was zeichnet einen Helden aus, was ist ein Anti-Held? Übt NL Kritik am Helden-Epos, indem Helden unmöglich werden? (NL weniger Helden- als vielmehr höfisches Epos. Heldenepos: 1 menschlicher Held. NL: diverse ausgezeichnete Recken einerseits und andererseits Überlagerung durch das Höfische.) Ironisiert NL die Heldenfrage? Siegfrieds Vorstellung am Hof Worms ist Hybris-artig: Ich schlage alle, ich nehme mir alles. Keine Spur von Weisheit. AV2, 55: Holt sich gewaltsam, was er will. 88: schlachtet für den Nibelungenschatz 700 Krieger und 12 Riesen, später aus Spaß Löwen, Elche, Bären, Wisente...


5. Hybris-, Minne- und Treue-Motiv: wie verhalten sie sich zueinander? Ist Minne Glaubensersatz an das Transzendente, damit Immanenz-Erscheinung? Was ist/bedeutet Liebe zu einer Frau und zu einem Mann?


6. Welche Rolle spielen Frauen? Mit Kriemhield geht's los, sie verbindet die beiden großen Teile, sie initiiert große Ereignisserien.

  Brunhild, die Klammer zu den alten Sagen.
  Frauen sind der Ausblick in eine individualistische Zukunft (siehe erweiterte Minne-These V 5)


7. Hagen, der Wissende: AV 3, 84: berichtet über Siegfrieds große Taten, erkennt ihn, erwähnt ganz kurz den Drachenkampf (100).


8. Siegfrieds Riss im schützenden Hautpanzer ist zugleich Möglichkeit des grundlegenden Risses in der Großhandlung.


9. Siegfried: kämpft mit dem Schwert Balmung.


10. Kriemhild träumt in AV1, 11: von ihrem Schicksal, stemmt sich dagegen (keinen Mann kennenlernen), doch dann verliebt sie sich in S.


11. Was heißt es, ein „wahrer Ritter“ zu sein?


12. Gibt es eine "Epos-Entwicklung" vom Gilgamesch (Menschliche Handlungen werden durch uneinheitliche Gottesmacht gelenkt), über Beowulf (Menschen handeln selbstständiger, sind aber mystischen Kräften - Drachen & Monstern, ausgesetzt) zum Nibelungenlied (bei dem der Mensch nur noch durch rein menschliche gegenseitige Beeinflussung nicht seine Handlung voll kontrolliert)?


13. Was verbindet die verschiedenen Epen? - Länge, Verse, übergreifende Themen mit Völkern, Ländern und vielen handelnden Personen und mystischen Kräften (Göttern, Monstren, Drachen, und mystischen zwischenmenschlichen Strukturen)?


14. V150 Schicksalsmotiv: Sterben wird, wer dem Tod verfallen ist.

15. V155: Wahre Freundschaft: Vertrauen, Tapferkeit, Dank.

16. V175: Übermuts-Motiv. V381: Eifer bringt Unheil.

17. V198: andauernde körperliche Konfrontation: scharfe Schwerter, tiefe Wunden, Blutströme, Frauen, die Leid ertragen, Kampf, Sein-Leben-Lassen ...

18. V207: Siegfried hat das Schwert Balmung. Tatsächlich: er hat es einfach. Die, vermutlich bekannte, Geschichte dieser trefflichen Waffe ist dem NL-Dichter nicht wichtig.

19. V224, 238: Liebesmotiv Kriemhild-Siegfried ist an den Sorge und Kampf gebunden: Übermittlung von Nachrichten über den Zustand, Freude über erschlagene Gegner, den Sieg.

20. V230: Siegfried vereint alle Tugenden.

21. V232: Es geht darum, die Ehre ohne Makel zu bewahren.

22. Warum ist Siegfried so stark? Vermutung: externer Verweis auf die Edda-Geschichten. man kennt den überstarken Siegfried bereits ...

23. Schlacht gegen die Sachsen: alle sind Helden, nur die Burgunder sind Über-Helden. Das Nibelungenlied protzt nur so vor Lob nach allen Seiten über Tapferkeit, Schönheit etc.

24. Das Niblungenlied etabliert ein Wettkampf auf allen Ebenen (vgl. V271): vom richtigen Kampf, zum anschließenden Turnier, zum Kampf mit Brünhilde im Bett ... Liest man hier etwas Krankhaftes, ein Sich- ständig-beweisen-müssen? Ist es eine Unruhe der Immanenz, in der keiner göttlich sanktioniert einfach besser ist? Ständiger Konkurrenzkampf als Ausdruck sozialer und/oder wirtschaftlicher Verschiebungen?

25. Gibt es im Nibelungenlied eine richtige Reflexionsebene? einen Weisen, einen Alten? Bei Siegfried scheint es ja quasi aus seiner Natur herauszuwachsen. Als Siegrfried & Co. zum Brünhilde-Ausflug rüsten, klingt alles spontan, Entscheidungen werden erst kurz vor den Ereignissen getroffen, kurz und wenig überzeugend, vielmehr naiv, ohne Bedenken der Folgen. Eben unbekümmert.

26. V296: Neid!

27. V324, 328: Ankündigung von Siegfrieds Tod und des Tods der anderen Helden. Es gibt eine Art Schicksalsmotiv, unbewusst auf der Ebene der Akteure - bis auf Kriemhild und ihren Traum, den sie aber offensichtlich nicht ernst nimmt. Erst der Erzähler hat im Nachhinein den Überblick ... V337: immer wieder Vorgriffe auf den Ereignisverlauf.

28. V336: Tarnmantel.

29. V360: sich schön kleiden, zur Hochzeit, Seide,Brokant.

30. Am Ende der 6. Aventiure scheint Siegrfried schlauer zu werden, während der Planung zum Brünhilde-Ausflug. Was bedeutet der Ausdruck 'listig' hier? Was ist nicht-listig? Und: wie steht es um die Paare listig-weise, listig-naiv?

31. Warum interveniert Hagen nicht entschieden vor dem Brünhilde-Auszug?

32. Was heißt Liebe im NB?

33. Der Königinnenstreit (Av. 14) ist der Punkt an dem sich eine Spirale ohne Umkehr bis zur Vernichtung der Nibelungen entwickelt.

34. Warum riskiert Siegfried, dass Brünhild von Kriemhield Ring und Gürtel zu sehen bekommt und die unaufhaltsame Krise einleitet? In der 11. Av. (714) wird Siegfried in der Siegmund-Nachfolge zum gerechten Herrscher inkl. Rechtsprechung, in der 14. Av. zeigt die aufgebrachte Kriemhild (B. bezeichnet S. als einen Eigenmann)Ring und Gürtel, die ihr S. wohl plus Geschichte gab! Wie erklärt sich diese Einfältigkeit? Ist es eigentlich, aus der Sicht der Zeitgenossen, unwichtig, wie genau die Krise eingeleitet wird, da sie als Schicksal so wie so irgendwann kommt? Ist daher auch die Konsistenz von S.s Charakter dem untergeordnet?

35. Gunther, der König, zeigt wiederholt Schwächen: seine Leidenschaft für Brünhild, sein Einlenken in Hagens Mordplan (872ff.).

36. 16. Av. 934ff.: Auffallend ist, dass S. hier als "Jäger" ein Tier nach dem schlachtet, wie ein Massaker, und dann selbst aufgespießt wird. Intensives Todesthema.

37. Was ist ein "Held" und ein "Heldenepos"? Wann kommt dieser Diskurs auf? Im NL werden die Recken oft auch "Helden" (mhd) genannt. Es scheint, es meint einfach nur: tatkräftiger Mann, einer, der Ereignisse beeinflussen kann, einer, der Macht und Herrschaft erfolgreich ausübt, unter gewissen moralischen Rahmenbedingungen (H.s Ermordung S.s ist keine Heldentat).


I b

Charakterisierungen:

- Siegfried

 Unbekümmert

- Hagen

 Grimm. sehend. gefühlsmäßig getrieben, in der konkreten Handlung aber immer rational. Der Kümmerer.

- Kriemhild

 Im Wandel. Zunächst unschuldig. Am Ende schuldig. Immer Opfer.
 Kriemhild ist die Zeichensetzerin - die unvermögende Setzerin, nicht die Herrin der Zeichen. (Gütel, Ring, Schulterblattkeuz, Träume)

- Gunther

 Unbehaglich, entscheidungsschwach, inkonsequent, Zauderer

- Gernot

 Der Diplomat

II. Datierungen/Textgenese

1. Grosse 2003, 970: Entstehung: Wende 12./13. Jh., unklar. Die Inhalte entstammen unterschiedlichen Sagenkreisen, die nicht miteinander verbunden sind. Sie haben wahrscheinlich schon Jahrhunderte vor den uns bekannten Texten existiert und werden in kürzeren mündlichen Fassungen von Generation zu Generation bewahrt worden sein.


2. Grosse 2003, 980: Drei Handschriften, entdeckt zwischen 1750-1770. Erforschung ab 1810 an der HU.


3. Grosse 1011-1012: Wir kennen den Autor des Nibelungenliedes nicht. ... Es mag sein, daß die Gattung der Heldenepik mit ihrem Übergang von der Oralität zur Skripturalität die Anonymität mit sich gebracht hat, wie sie ja auch bei den ähnlich tradierten Texten der Sagen und Märchen üblich ist.

III. Erzählform, Stil

1. Grosse 2003, 988: Im Unterschied zu den höfischen Epen der Stauferzeit hat das Nibelungenlied keine paarweise gereimten vierhebigen Verse, sondern (in der HS B) 2379 Strophen. Jede Strophe besteht aus vier Langzeilen, die aus der germanischen Dichtung bekannt sind. Jede Langzeile hat zwei Halbzeilen, den An- und den Abvers: 2,1 ez wuohs in Burgonden ein viI edel magedin. Die beiden Halbverse sind durch eine metrisch gekennzeichnete Zäsur getrennt. Die Abverse der ersten und zweiten Langzeile und die der dritten und vierten reimen sich ...


2. Grosse 2003, 995: Nicht die Entwicklung der Personen bestimmt den Handlungsverlauf, sondern es greifen einzelne Ereignisse wie Glieder einer Kette ineinander, welche die Aktionen und Reaktionen der Handelnden bestimmen. Jede Situation fordert zu Taten heraus. Dabei braucht eine psychische, für den heutigen Leser nachvollziehbare Entwicklung der Charaktere nicht gegeben zu sein. Die erwartete Handlungsfähigkeit und ihr Ergebnis wachsen aus der jeweiligen Situation und ihrer Personenkonstellation heraus und passen sich in den szenischen Ablauf ein.


3.Grosse 2003, 999-1001: Zeitstruktur: Die angegebenen Zeiträume markieren den Abstand in relativer, aber nicht absoluter Art. Sie haben weder die Funktion einer Uhr noch die eines Kalenders. So werden auch die Menschen nicht älter. Die Ritter kämpfen im Sachsenkrieg ebenso schlagkräftig wie 37 Jahre später am Hofe Etzels; Kriemhild wäre etwa fünfzig bei der Geburt ihres zweiten Sohnes, Giselher wird bis zuletzt der junge Mann (daz kint) genannt. Raumstruktur: präziser.

4. Grosse 2003, 1001ff.: Widersprüche im Handlungsverlauf.


IV. Vergleiche mit anderen Erzählungen und Topoi

1. Kriemhild und Helena: die Schönsten im Lande (AV1), geben Anlass zum Krieg.


2. Siegfried und Enkidu: Wildheit, Naiviät, gezähmt durch die Verhandlungstechnik Gernots (AV3, 123ff.). Dann wird er ein guter Hof-Gefährte, Turniere etc. Dann Treue zu Gunter bis zum Tod.


3. Siegfried und Arminius: [Matthias]


4. Das Ankunfts/Fremden-Thema in NL und Beowulf: AV 3, Worms, Ritual des Fremden (Siegfried), der letztlich für Liebe dienen will (wie Beowulf für Ruhm).


5. Hagen und Unferth? Parallelen? Hagen und Unferth berichten über die Taten des Helden, und bekommen unangenehm seine Stärke zu spüren, werden (zumindest zeitweise) Gegner.


6. Grendel-Siegfried: haben eine undurchdringbare Haut. Insofern ist Siegfried auch Monster (VERGLEICHBAR DEM; DAS ER VORHER SELBST ERSCHLUG?)


7. Siegfrieds ungeschützte Hautstelle auf dem Rücken und Achills Ferse.


8. Hagen warnt vor dem Auszug (1203ff.) wie Enkidu vor Humbaba-Reise, wird dann zum entschlossenen Mitstreiter.

  Beide sind irgendwie Verwandte, irgendwie auch Dienstpflichtige.


9. Das Nibelungenlied ist kein Heldenepos - es gibt keine durchgängige menschliche Heldengestalt, wie Beowulf oder Gilgamesch.

10. NL und Lieder-Edda: viele Überschneidungen, die von Andreas noch konkret ergänzt werden müssten. Da die Lieder-Edda wohl 1370, das NL 1320 (?) abgefasst wurden, stellt sich hier die Frage der Rezeptionsrichtung und nach einem gemeinsamen Metaerzählungsraum. Wandert etwa im Rahmen der sog. Völkerwanderungen und der anschließednen Christianisierung eine mittel-nordeuropäische (heidnische) Religion nach Skandinavien etc. aus, so dass die Göttersagen der Lieder-Edda den Kontrapart der Teile bilden, die sowohl in der Edda als auch im NL als Heldensagen vorkommen?

Laut Volker Honemann (bei Wein am 10.10.09) ist der Inhalt Edda eher als vorher bekannt anzusehen.

12. Bülow-Rede 1909 ("Nibelungentreue") ist vergleichsweise unschuldig.

13. Kain erschlägt Abel, den Begnadeten, den Liebling der Götter. (Ein Gedanke von Fernau, S. 96)


14. Edda:

(um 1220 Snorri-Edda, auch Prosa-Edda, eher unscharf auch Jüngere Edda genannt; um 1270 Lieder-Edda, eher unscharf auch Ältere Edda, eher falsch auch Saemundar-Edda genannt; Edda = Elternmutter / Großmutter)

hier einige Motive der Lieder-Edda, die engste Verwandtschaft mit dem NL aufweisen:

Lieder-Edda 18, Helgi Hiörwards Sohn: Ein "Atli", der für jemand anderes um "Sigurlinn" freit, kann die Vögel verstehen. Helgi, dem Sohn der Sigurlinn (und Wiedergeburt von Helgi dem Hundingstöter (s. LE 19)) singt eine Walküre (die er später heiraten wird) von einem besonderen Schwert.

Lieder-Edda 19, Das 1. Lied von Helgi dem Hundingstöter: Sigmunds Sohn Helgi, der "Freund der Wölfe", Sinfiötlis Bruder, erschlägt im Alter von 15 Jahren den Hunding.

Lieder-Edda 20, Das andere Lied von Helgi dem Hundingstöter: "Sigmund, Wölsungs Sohn ... und seine Nachkommen heißen Wölsungen und Ülfinge (Wölfinge)." König "Högni" hat eine Tochter "Sigrun". Sie ist Walküre. Helgi und Sigrun heiraten. Sigruns Bruder erschlägt Helgi.

Lieder-Edda 21, Sinfiötlis Ende: Sigmund, Wölsungs Sohn, ist mit Borghild verheiratet, der Schwester "Gunnars". Sinfiötli erschlägt seinen Onkel Gunnar, woraufhin Borghild Sinfiötli vergiften will. Sigmunds Sohn mit Hjördis ist wiederum Sigurd, der "allervorderste". (Sinfiötli ist nach Simrock der "Fitela" des Beowulfliedes.)

Lieder-Edda 22, Das 1. Lied von Sigurd Fafnirstöter: Sigurd wird geweissagt, der mächtigste Mann auf Erden zu werden, dass er den "Wurm" auf der "Gnitaheide" sowie Regin und Fafnir fällen und den Hort heimführen wird, dass er die auf dem Felsen schlafende Fürstentochter erwecken wird. Er wird Brünhild lieben, sie aber an Giukis Hof vergessen durch die Tücke Griemhilds, welche ihm dann die eigene Tochter Gudrun geben wird. Er wird für Gunnar um Brünhild werben. Er wird mit Gunnar die Gestalt wechseln. Högni wird dabei sein. Sigurd wird keusch bei Brünhild liegen aber die Brüder Gunnar, Högni, Guthorm werden sein Verderben bewirken.

Lieder-Edda 23, Das andere Lied von Sigurd Fafnirstöter: Regin übernimmt Sigurds Erziehung. Fafnir und Regin bekommen die Goldbuße der Asen. Fafnir übervorteilt Regin. Fafnir liegt als Wurm auf der Gnitaheide. Regin schafft Sigurd das Schwert "Gram".

Lieder-Edda 24, Das Lied von Fafnir: Sigurd ersticht den Fafnir-Wurm. "Das Gold, der Schatz, die Ringe verderben Dich!" Durch Drachenblut kann Sigurd die Vögel verstehen, die weisen ihm den Weg zu Giukis Tochter. Sigfrida schläft auf einem Felsen, feuerumlodert.

Lieder-Edda 25, Das Lied von Sigfrida: Sigurd erweckt die Walküre Sigfrida.

Lieder-Edda 26, Bruchstücke eines Brünhildsliedes: Gunnar will Sigurd töten. Högni vermutet, dass Brünhild aus Eifersucht auf Gudrun dahinter steckt. Sie töten Sigurd. Ein Rabe ruft: "In Euch wird Atli das Eisen röten."

Lieder-Edda 27, Das 3. Lied von Sigurd Fafnirstöter: Sigurd freit Gudrun. Fahrt zu Brünhild. Sigurd gewinnt Brünhild dem Gunnar (das Schwert liegt zwischen Ihnen). Högni will Gunnar nicht helfen, Sigurd zu töten, wie Brünhild es verlangt. Aber Guthorm, der jüngste Bruder, tötet SIgurd. Brünhild ist die Schwester Atlis. Gudrun, dem Atli vermählt, tötet diesen im Bett.

Lieder-Edda 28, Brünhilds Todesfahrt: Gudrun hat Brünhild und Sigurd fälschlich beschuldigt.

Lieder-Edda 29, Das 1. Gudrunslied: Gudrun hat von Fafnirs Herz gegessen, kann die Vögel verstehen.

Lieder-Edda 30, Der Mord der Niflunge: Atli, mit Gudrun vermählt, tötet Gunnar und Högni, weil sie am Tode Brünhilds schuld tragen.

Lieder-Edda 31, Das andere Gudrunslied: Dietrich ist bei Atli. Gunnar und Högni wollen Gudrun Lösegeld für den toten Sigurd zahlen. Gudrun wird dem Atli vermählt.

Lieder-Edda 32, Das 3. Gudrunslied: Dietrich wird bei Atli der Unzucht mit Gudrun beschuldigt. Ein Gottesurteil entlastet Gudrun.

Lieder-Edda 34, Die Atlisage: Gudrun rächt den Tod ihrer Brüder an Atli.

Lieder-Edda 35, Grönländisches Atlilied: Nibelungenschlachtung an Atlis Hof. Rache Gudruns an Atli.

V. Übergreifende Thesen

1. Immannenz-Epos: Im Gegensatz zur Völsungensaga und Wagners Aneignung, geht es, ähnlich wie im Beowulf, um eine immanente Handlungsdynamik ohne (göttliche) Metaebene. Ereignisse generieren Ereignisserien, deren Teil Helden und alle andere Personen sind. Doch was sind die Ereignis-generierenden Elemente? Taten. Also: was sind Taten? Gefragt wäre eine Typologie von Taten (wichtig/unwichtig, von wem etc.)


2. Gunther-These: Im NB geht es um einen (Gilgamesh-artigen) archaischen Herrscher, der ohne Rücksicht auf sein Volk eigenmächtig-leidenschaftlich handelt. Seine Entscheidung, Brünhilde zu erlangen, leitet die entscheidende Wende ein. Ihm fehlt ein Enkidu, Hagen interveniert zu spät, verstärkt letztlich die Schicksalsspirale.

Nein, glaube ich nicht. Gunther ist kein Tatmensch. Er ist Zauderer. Seine wenigen eigenen Entscheidungen (Brunhild, Etzel) sind dann auch fatal.

3. Trieb-These: NB muss aus der Perspektive der Autoren als ein nicht harmonisiertes Triebspiel unterschiedlicher Kräftekonstellationen gelesen werden (Minne, Sex, Kampf, Töten, Sieg etc.), die sich ineinander so verwringen, dass daraus eine unentrinnbare Schicksalsspirale wird.

4. Held-ohne-Ort-These: Siegfried hat keinen richtigen Ort in der Geschichte (Ja scheinbar vergisst er selbst seinen Ort: Auf dem Rheinzug kommen die Recken mehrfach an Worms vorbei, ohne dass er aussteigen oder den Umstand auch nur erwähnen würde.), er wandert ständig, behauptet sich, um annerkannt zu werden, sich endlich stabil zu sozialisieren und Freunde zu gewinnen. Doch wirkt seine Energie letztlich als ein treibendes Moment der Tragik, die alle umkommen lässt, indem er Wünsche/Triebe für andere realisiert, die den ganzen Burgunder Hof unhaltbar destabilisieren. S. ist also ein Held ohne Ort, einer, der in der höfisch-verwalteten Gesellschaft archaisch-überholt wirkt. Hierher könnte auch der standpunktlose S. gehören, der seine destabilisierenden Kräfte überall einsetzt, ohne entschieden gegen das zu stehen, was er selbst für Falsch hält. Hagen versucht hingegen beständig, S. einzuordnen (erste Ankunft von S.,etc.) und später auszuschließen. S. als der Übermensch, der das ganze Hofsystem von Wettkämpfen und Minne als beständiges Sich-Beweisen und Verbessern und Messen außer Kraft setzt, da er einfach der stärkste, schönste, listigste, lustigste ist etc., wird genau vor seinem Tod in der Jagdszene der 15. Av. deutlich. Umgekehrt und spiegelbildlich erfodert seine Auslösung aus der Hofgemeinschaft (sein Tod) eine Aufhebung der Hof-Formalien (Treue, guter Rat, Tugend etc.). In der 16. Av. kollabiert das Hofsystem, zentrale Werte werden ausgehöhlt, sinnleer (vor allem: Treue, Vertrauen). Hagen führt in 993 als Motiv der Ermordung an: Angst vor S., Schmach von ihm (sórge, leit), seiner Herrschaft (hêrschaft)ein Ende setzen. S. der Ortlose könnte in dieser Perspektive als auch als der Unberechenbare erscheinen, wie ein wildes Tier, das sich in alle Richtungen wenden kann.

5. Minne-These: NB ist eigentlich eine höfischer Minne-Erzählung. Siegfried kämpft für Kriemhild, Gunther will Brünhilde. Ihre blind-individualistiche Liebe harmonisiert nicht, ihre Verschränkung führt in den Untergang.

Sehe ich nicht. Gunther liebt nicht, schon gar nicht individualistisch. Er folgt irgend einer fixen Idee, eingeimpft oder wenigstens kompatibel mit einer gesellschaftlichen Erwatung an ihn. Siegfried liebt nicht. Vielleicht begehrt er (vielleicht nicht mal das). Minne ist für ihn ein Spiel (wie Alles). Eventuell ist auch das ein Zug des Höfischen Epos: Tapfere Recken werben halt um schöne Damen... Andere Minne-These: Die Frauen können (schon individualistisch und leidenschaftlich) lieben. Kriemhild tut das. Brunhild tut das. (Beide den Siegfried - seliger Siegfried)

6. Hagen-These-1: Hagens zwar durch seinen Unmut gegenüber S. sich anbahnender, doch in seiner Radikalität am Ende der 14. Av. in seiner Radikalität überraschender Mordplan könnte nicht auf einer Motiv-Logik, sondern auf einer Taten-Logik beruhen: S. hat die Krise ermöglicht: erstens als Täter im Bett mit Brünhild, zweitens als Täter des Weitergebens der Geschichte und der Dinge (Ring, Gürtel) an Kriemhild. Als Täter verkörpert S. die Schuld, er muss entfernt werden, damit verschwindet sozusagen auch die Ursache. Dabei ist unwichtig, was Leute sich wünschen, vorstellen oder beabsichtigen. Entscheidend ist Tat und Resultat. Des Weiteren kommt die Taten-Logik aus einer Gunthers Königshoheit überschreitenden älteren Legitimations-Schicht: Ob Gunther will oder nicht und S. Gunthers Unschuld öffentlich beteuert oder nicht, die Situation (als Resultante von Taten: grundlegende doppelte Ehre-Verletzung (Gunther und Brünhild), die mit dem repräsentativen Status des König- und Königin-Seins unvereinbar ist) ist objektiv-gebietend, sie lässt nur eine Lösung zu und fordert sie zugleich. Kein Kommunikations-Bedarf aufgrund der Vereinfachung: der Täter ist qua Tat schuld. Dass Hagen einer anderen Moral folgt, wird auch in 1001 deutlich: er strahlt eine ungewöhnliche Kälte aus, will S. selbst nach Worms tragen, Kriemhilds Tränen "rühren" ihn nicht.

7. Hort-These: (vorgreifend) Die tragische Dynamik des NL ist motiviert durch die Gier der Burgunden, vor allem von Hagen, nach dem Nibelungen-Hort und den entsprechenden magischen Dingen. Die Burgunden nehmen später selbst den Namen der Nibelungen an (?, prüfen). Zu klären wären in dieser Hinsicht u. a., warumm der Hort letzten Endes versenkt (?) wird.

8. Kriemhild-These-1: Kriemhild ist eine tragischer Prophetin, eine Fortführung und Transformation der Kassandra-Figur, indem K. nicht nur das Unheil träumend voraussieht, ohne es verhindern zu können, sondern auch selbst die entscheidenen "Zeichen" setzt und exponiert (Zeigen des Ringes, Gürtels, Setzen des Kreuzes auf S.s Hemd), die zur Krise führen. Ihr Schicksal sehend ist sie blind als Tätige, wirkungslos als Warnende.

9. Schicksal-Widerstands-These: An mehreren Stellen des NLs fragt sich, warum gegen evident problematische Entscheidungen Einzelner (Gunthers B.-Hochzeitsfahrt, die Einladung von S. und K. durch B., Hagens Vorschlag der Ermordung von S. etc.) kein wirkmächtiger Einspruch erhoben wird, kein nachhaltiger Konflikt entsteht, obwohl es doch ständig um den "Rat" guter Freunde und um "Treue" geht. Alle Teilnehmer erscheinen in dieser Perspektive wie passive Puppen von K.s Traum, gelenkt von unischtbaren Fäden, ihre Entscheidungen sind nur Wirkungen anderer Ursachen, keine eigenmächtigen Selbstsetzungen. Die Unfähigkeit zum diskursiven Konflikt und der problemorientierten Kommunikation kontrastiert auch stark mit der ständigen Betonung der körperlichen Stärke der "Recken".

8. Politik-These: Nach Ursula Schulze (Das Nibelungelied, Reclam 1997, 214, 223) wird in S. s Tod zentral für die ganze Problemlage des NLs deutlich, dass der Starke wehrlos gegen perfide Intrige ist (214): "Die erzählte Geschichte führt vor, dass politisches Handeln nicht im offenen Kräftemessen, sondern in der Überlistung besteht." Hagen (214) handele zwar aus heterogenen Motiven (Sühne für die Entehrung B.s, Ausschalten potentieller Gefahr von S., Machtzuwachs durch Gewinn von S.s Besitz),doch seien sie allesamt politisch zu nennen. Schulze unterstreicht dies durch das rekurrente Motiv der Täuschung (212). Tobias Kommentar: Im Ansatz (Täuschung, Kraft gegen Organisation) interessant, in der Schlussfolgerung (Politik) aber schief, da unterbestimmt, unscharf. Dazu kommt, dass Schulze an anderer Stelle behauptet, Hagen handele (wie S. und Brünhild) archaisch. K.s Rache ist archaisch (ohne Staatsprinzip), auch in dieser Hinsicht besteht Klärungsbedarf - denn die politische Intrige geht ja nicht auf, sondern zerschellt quasi am Schild. Kurz: ich finde, ohne ihr zu Nahe treten zu wollen, Schulzes Lösung fade. Sie reiht das NL reibungslos in eine allzuoft iterierte Metageschichte des Fortschritts der Moderne ein. Probleme einer Kontinuität der Triebe in die Moderne/in das Höfische hinein (Triebthese), des bewussten Treuebruchs, der Täuschung als nicht hintergehbare Grundverfassung menschlichen Seins in einer entgötterten Welt (man denke an Descartes), Schicksal und Schuld usw. werden einfach ins Politische absorbiert und damit zugleich neutralisiert.

VI. Literatur, Quellen & Links

Allgemeines

Akademisch

Basisliteratur

  • Brackert, Helmut: Das Nibelungenlied. 2 Bde. (1. Aufl. 1970) Neuauflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1994/2008.
  • Brackert - Unsere Wahl
  • Grosse, Siegfried: Das Nibelungenlied. Nach dem Text von Karl Bartsch und Hehrtut de Boor. [Handschrift B] (1. Aufl. 1997) Stuttgart: Reclam 2003
  • Grosse - Zur Lektüre von Volker Honemann empfohlen
  • Edda, übersetzt und mit Erläuterungen begleitet von Karl Simrock, 1. Auflage 1851, hier : Phaidon Verlag, Essen 1987
  • Wagner, Richard, Libretto zum "Ring"

Zusatzquellen

Wesentliche Handschriften und Texte

Ergänzende Handschriften und Texte

Medien

  • DVD-Filmprojekt für 2009/2010
  • Hebbels Nibelungenlied in der Schaubühne 2009
  • Das Nibelungenlied von Eberhard Kummer gesungen - Die erste und einzige, komplette Einspielung des gesamten Nibelungenlieds aufgrund einer Live-Aufnahme des Phonogramm-Archivs der Akademie der Öst.Wissenschaften. Der Aufnahme liegen fünf sechsstündige Darbietungen im Okt. und Nov. 2006 im „Kulturquartier“ in 1190 Wien zugrunde. E.Kummer singt im Hildebrandston und begleitet sich auf einer keltischen Schoßharfe. Die Einspielung umfasst zwei MP3 CDs (ca. 30 Stunden Musikzeit) und wurde im „The Chaucer Studio“ der Brigham Young University Provo (UT) hergestellt. Vertrieb : E.Kummer, Chaucer Studio

Urhebergeschützt

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Ausführliche Themen:

I. Textgenese

II. Sprache, Schrift

III. Geographie

IV. Religion

V. Kulturgeschichtliche Aspekte, Geschichte

1. Grosse 2003, 975-977: Im Nibelungenlied lassen sich für den zweiten Teil mit der Niederlage der Burgunden in der Zeit der Völkerwanderung eher historische Ansatzpunkte finden als für den ersten Teil, der mit den Figuren Brünhild (Isenstein) und Siegfried (Drachen, Tarnkappe, Hort) Verbindungen zur germanischen Mythologie und zum Märchen zeigt. ... Zwischen 406 und 413 hat es wahrscheinlich unter König Gundahar ein Burgundenreich am Mittelrhein gegeben (Hoffmann, 1992, S. 42 ff.) ... König Attila (Etzel) starb 453 in der Hochzeitsnacht mit der Germanin Hildico - nach zeitgenössischen Berichten an einem Blutsturz, also 16 Jahre nach Gundahar. Dieses unkämpferische Ende hat früh Gerüchte entstehen lassen, Hildico habe ihren Mann umgebracht, um Verwandte zu rächen, die 437 im Kampf gegen die Hunnen umgekommen sind. Damals hatte Attila das hunnische Heer nicht angeführt. ... Für Hagen gibt es kein historisches Vorbild. ... Zur Erklärung der Siegfried-Figur ist, besonders von Höfler, auf Arminius hingewiesen worden (Hoffmann, 1979). Beide sind als junge Männer von Verwandten heimtückisch ermordet worden, und Xanten, Siegfrieds Heimatstadt, ist auch Ausgangspunkt für die Arminius-Überlieferung. Aber die Verbindung des heroischen Siegfried mit der mythischen Sagenwelt und die Dominanz traditioneller, märchenhafter Erzählmotive führen nicht zu einer historisch begründeten Fixierung.

VI. Mythentheorie

VII. Spezialthemen

Die Nibelungen von Fritz Lang

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Nach der Fertigstellung des zweiteiligen „Dr. Mabuse“ wandte Fritz Lang sich dem mythologischen Stoff der Nibelungensage zu. Zwei Jahre verwendete er dafür, den Stoff zu verfilmen und es wurde sein bis dahin größter Erfolg. Aus der Stoffmasse mit ihren unterschiedlichen Versionen und den verschiedenen Bearbeitungen, die sie schon erfahren hatte, folgte Lang weitgehend dem eigentlichen Nibelungenlied, wobei er einige Vereinfachungen und Zuspitzungen vornahm. Der Stoff selbst war jedoch vorgegeben und wurde auch kaum entgegen der Überlieferung interpretiert. Langs Leistung besteht in der Illustrierung.

Das Gesamtwerk ist aufgespaltet in zwei Teile, wie die ursprüngliche Sage dies vorgibt. Im ersten Teil erfahren wir die bekannte Geschichte von Siegfried (Paul Richter), der den Drachen tötet, durch ein Bad in dessen Blut unverwundbar wird und den Nibelungenschatz gewinnt. Er kommt nach Worms an den Hof der Burgunder und hilft König Gunther (Theodor Loos) die amazonenhafte Brunhild (Hanna Ralph), Königin von Island, im Wettkampf zu besiegen und zur Frau zu bekommen. Im Gegenzug erhält er Gunthers Schwester Kriemhild (Margarete Schön) zur Gattin. Im berühmten Streit der Königinnen erfährt Brunhild von Kriemhild, dass es in Wahrheit Siegfried war, der sie besiegte. Um diesen Schandfleck zu beseitigen, lässt Gunther sich von dem düsteren Hagen (Hans Adalbert Schlettow) dazu drängen, Siegfrieds Ermordung zuzustimmen. Den Mord selbst führt Hagen aus, der sich unter einem Vorwand von Kriemhild die verwundbare Stelle markieren lässt.

Der zweite Teil „Kriemhilds Rache“ steht ganz im Zeichen von Kriemhilds Racheschwur. Kriemhild wird die Frau des Hunnenkönigs Etzel (Rudolf Klein-Rogge) und lädt einige Jahre später Gunther, Hagen und die übrigen Burgunder an den Hof des Hunnenkönigs ein. Sie will Rache an Hagen nehmen und als die Burgunder in Treue zu ihm stehen, dehnt sie ihre Rache auf alle, einschließlich ihrer Brüder aus.

Erster Teil: Siegfried

Es kann hier nicht darum gehen, den Stoff selbst zu kritisieren, sondern es geht nur darum, was Lang daraus machte. Er entschied sich bei seiner Gestaltung zu vollkommener Stilisierung und Künstlichkeit. Die mythischen Anfangsszenen sind bewusst unwirklich gehalten und halten in ihrer atmosphärischen Wirkung einem Vergleich mit neueren Fantasy-Filmen durchaus stand. Die Welt der Anfangsszenen ist märchenhaft und unterweltlich. Lang arbeitet mit faszinierenden Licht- und Schattenspielen. Er verzichtete bewusst auf Außenaufnahmen und ließ im Studio einen Wald aus gewaltigen säulenartigen Stämmen aufbauen. Die Drachenszene war zu ihrer Zeit etwas nie Gesehenes und Lang war bemüht, die besten Techniker der Zeit um sich zu versammeln. Besonders surreal wirkt eine Szene, in der wir eine Gruppe angeketteter Zwerge sehen, die einen Kessel voll Gold tragen und die beim Tod ihres Königs Alberich (Georg John) versteinern, wobei ihre Gesichtszüge erhalten bleiben. Der Film verblüffte seine Zuschauer mit beeindruckenden Überblendungen, etwa beim Eindringen in die Nibelungenhöhle, oder bei den Szenen mit der magischen Tarnkappe, wie z.B. beim Wettstreit mit Brunhild, wo der unsichtbare Siegfried Gunther die Hand beim Speerwurf führt. Die Welt der Burgunder wird geprägt durch ihre monumentale Architektur. Hier dominieren kahle Räume und riesige hohe Hallen. Diese Welt ist streng geometrisch aufgebaut. Wir finden überall symmetrische Muster, sei es im Boden oder bei den Gewändern. Die Menschen wirken klein vor dieser Architektur, etwa in den Domszenen, wo die Personen absolut symmetrisch bis hin zur Farbe der Gewänder vor dem imposanten Dom gruppiert werden. Die Menschen werden dieser Architektur völlig untergeordnet oder besser eingeordnet. Sie werden zum Teil der Architektur, zum bloßen Ornament. Berühmt ist hier die Szene, wo Brunhild bei ihrem Einzug in Worms über eine lebende Brücke vom Schiff an Land geht. Die Personen bewegen sich langsam und statuarisch und immer in strenger Symmetrie, sei es in Reihen oder spiegelbildlich. Eine psychologische Vertiefung erfolgt nicht und wird vom Stoff auch nicht gefordert. Die Personen sind reine Archetypen, sie vollziehen vom Schicksal vorgegebene Handlungsmuster. Die Atmosphäre bei den Burgundern hat insgesamt etwas Totes, was bildlich in den langen Gewändern, den leeren Räumen und der allgegenwärtigen Ritualisierung zum Ausdruck kommt.

In deutlichem Kontrast zum statuarischen Worms steht das Island Brunhilds. Der Burgfelsen ragt aus einem unzugänglichen Flammenmeer hervor, womit visualisiert wird, worum es beim Wettkampf mit der Königin geht: um die Bezwingung ihrer Jungfräulichkeit. Wie die Märchenwelt, aus der Siegfried nach Worms kam, wird auch Brunhilds Welt als heidnisch gezeichnet. Eine Schamanin gibt der Königin vor urzeitlicher Höhlenmalerei ihre Weissagungen. Am deutlichsten unterscheidet sich die Welt Brunhilds durch ihre Bewegungschoreographie von der Welt der Burgunder. Die Amazonen verkörpern in ihren raschen, ungestümen Bewegungen das wilde und natürliche Leben. Der Film deutet so auch die Interpretationsmöglichkeit an, dass Brunhild das Leben ist, das die tote Welt der Burgunder braucht.

Als Hauptthema des Films gilt gemeinhin die Treue und in der Tat gibt es kaum einen Begriff, der häufiger auf den Schrifttafeln auftaucht, als Treue. Dies ist mit Sicherheit auf den Einfluss von Fritz Langs verhängnisvoller Ehefrau Thea von Harbou zurückzuführen, die hier, wie in vielen anderen Filmen Langs, für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Sieht man sich den Film jedoch wirklich an, so stellt man sehr bald fest, dass sein eigentliches Thema keineswegs die Treue, sondern im Gegenteil der Verrat ist. Siegfried kommt nach Worms, um Kriemhild zur Frau zu gewinnen und er wird von Anfang an von den Burgundern für ihre Pläne zum Betrug an Brunhild benutzt.

Gunther, der ewig zögernde und schwache König der Burgunder braucht Siegfried, der als einziger in der Lage ist, die übermenschliche Brunhild im Wettkampf zu besiegen. Dafür erhält er Kriemhild als Belohnung. Dies ist der Plan Hagens, der grauen Eminenz seines Königs. Und Siegfried zögert nicht einen Moment, in den Betrug einzuwilligen. Die archaische ungebändigte Kraft Brunhilds wird durch List bezwungen. Und dies wird mit dem hohlen Pathos von Treueschwüren verbrämt. „Halte mir Wort Gunther, wie ich dir Wort hielt.“, sagt Siegfried auf einer Texttafel und es schließt sich der Treueschwur der Blutsbrüder Siegfried und Gunther an. Lang macht mit seinen Bildern und seiner Schnittfolge ganz klar, wie er den Mythos versteht. So sehen wir die Blutsbrüderszene gegengeschnitten mit der betrogenen und zweifelnden Brunhild, die ahnt, das etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann, aber auch mit der naiven und gutgläubigen Kriemhild, die sich auf ihre Hochzeit vorbereitet. Bei den Burgundern ist alles auf Lüge aufgebaut, die ganze vorgebliche Freundschaft und beide Ehen sind auf Lüge gebaut. Und wo bleibt die Treue? Es ist die gegenseitige Treue beim Betrug. Es ist die Treue unter Ganoven.

Und der Betrug setzt sich fort. Noch einmal muss Brunhild betrogen werden, diesmal in der Hochzeitsnacht. Diesmal zögert Siegfried, doch lässt er sich sehr schnell durch Phrasen wieder einbinden. „Willst du den Freund im Stich lassen?“, fragt ihn Hagen. Und Gunther schweigt dazu und lässt wie immer Hagen für sich reden und Siegfried für sich handeln. Gunther und Hagen werden als die düsteren Intriganten dargestellt, die meist im Schatten sitzen und nur beobachten. Siegfried ist der nützliche Idiot, der sich verwenden lässt. Die Betrogenen sind die beiden Frauen, vor allem Brunhild. Sie ahnen mehr, als dass sie wüssten, und so kommt es in der berühmten Treppenszene zum Streit der Königinnen. Brunhild verlangt als vermeintliche Herrin Siegfrieds den Vortritt und Kriemhild zeigt ihr aus gekränkter Eitelkeit den Armreif, den Siegfried der Amazone in der Hochzeitsnacht in Gunthers Gestalt abgenommen hat. Der Streit der Frauen hat seinen Ursprung im Lügengebäude der Männer. Bereut nun einer den Betrug? „Dein Schwatzen war schlimmer als ein Mord, Siegfried“, ruft Hagen. Dann geht es nur noch darum, die Folgen zu beseitigen. Brunhild verlangt aus verletzter Ehre den Tod Siegfrieds und Gunther ist zerrissen wie je: „Soll ich ihn töten, weil er mir treu war?“ Doch Brunhild überzeugt ihn mit dem Argument, Siegfried hätte sie entjungfert.

Siegfried war das Werkzeug beim Betrug der Burgunder. Solange alles geheim war, pflegte man den Schein von Treue und Blutsbrüderschaft. Das zählt jetzt alles nicht mehr. Es geht nur noch darum, den lästig gewordenen Helfer und Mitwisser zu beseitigen. Dem ersten Verrat an Brunhild folgt der zweite an Siegfried. Man veranstaltet eine Jagd und Hagen belügt Kriemhild, um die verwundbare Stelle Siegfrieds zu erfahren. Dann ermordet er Siegfried hinterrücks, als dieser an einer Quelle trinkt. Brunhild, die Barbarin ist es, die zu Gunther sagt: „Um eines Weibes willen erschlugst du deinen treuen Freund“, und sie ist es, die an der Totenbahre Siegfrieds Selbstmord begeht. Kriemhild fordert Gerechtigkeit von ihrem Bruder. Sie verlangt, den Mörder zu bestrafen. Aber Gunther und seine Brüder stellen sich vor Hagen: „Treue um Treue. Seine Tat ist die unsere. Unsere Brust ist sein Schild“. In diesem Moment wird Kriemhilds Verwandlung sichtbar und sie schwört die Rache, die sich im zweiten Teil erfüllen wird. Die Treue- und Ehrbegriffe der Burgunder reichen nicht weiter als die einer Mafia-Bande. Lang macht dies besonders deutlich, wenn er durch seine bildliche Darstellung die schwülstigen Zwischentitel konterkariert.

2. Teil: Kriemhilds Rache:

Ging es im ersten Teil um Betrug und Verrat, und zwar um mehrfachen Verrat, so steht der zweite Teil ganz unter dem Thema Rache. Kriemhild nutzt zunächst ihr Erbe, den Nibelungenschatz, um damit Verbündete gegen Hagen und ihren Bruder Gunther zu werben. Als Hagen ihr den Schatz raubt und ihn im Rhein versenkt, geht sie auf den Antrag des Hunnenkönigs Etzel ein und verlässt Worms. Sie lehnt ausdrücklich jede Versöhnung mit Gunther ab.

Noch stärker als im ersten Teil nimmt jetzt Hagen die zentrale Stellung auf der Seite der Burgunder ein. Er erscheint durchgehend in einem schwarzen Gewand mit Umhang und mit einem gewaltigen Flügelhelm. Um den finsteren Eindruck zu verstärken hat er im Film nur ein Auge. Er ist das Urbild des rationalen Bösewichts, der ohne Skrupel zu jedem Verbrechen im Dienst seines Herrn oder des Staates bereit ist. Er ist die fleischgewordene Staatsräson und kann als Folie für viele faszinierende Filmbösewichter von Dr. Seltsam bis Darth Vader gelten. Ihm gegenüber steht jetzt Kriemhild, die sich vom naiven Jungmädchen zur Rachegöttin gewandelt hat. Im Gegensatz zum ersten Teil, wo sie wie Siegfried immer weiß gekleidet war, trägt sie jetzt schwarz. Sie bewegt sich kaum und wenn, dann nur sehr langsam. Damit bildet unter den ständig wimmelnden Hunnen eine Art Statue, was ihren Charakter als Rachegöttin noch verstärkt. Jeden Mann, der ihr begegnet versucht sie auf ihre Rache einzuschwören, sei es der biedere Rüdiger (Rudolf Rittner), sei es ihr neuer Gemahl Etzel oder dessen Bruder Blaodel (Georg John). Die Welt der Hunnen steht in scharfem Kontrast zur Welt der Burgunder. Die Hunnen sind in ständiger Bewegung, sie werden als Barbaren gezeichnet, die in Erdhöhlen leben, sie sind orgiastisch und lebensfreudig. Statt der Gemessenheit des ersten Teils mit seinen langen Kamera-Einstellungen dominiert jetzt dynamische Beweglichkeit. Langs Nibelungenfilm stellt das Aufeinanderprallen dieser Welten ohne die platte Schwarzweiß-Malerei vieler neuerer Fantasyfilme dar. Hier steht nicht Gut gegen Böse, sondern es entsteht wirkliche Tragik, da Schuld und Unschuld auf beiden Seiten sich die Waage halten.

Kriemhild veranlasst Etzel, die Burgunder an seinen Hof einzuladen. Ihr Verlangen nach Rache jedoch weist er zurück. „Heilig ist der Gast“, sagt Etzel und wird damit zum Vertreter eines archaischen Moralbegriffs, der hoch über der Falschheit der Burgunder steht. Überhaupt wird Etzel, trotz seines wilden Äußeren, als sehr menschlich gezeichnet. Im Gegensatz zur starren Mimik der Burgunder drückt er seine Gefühle immer direkt aus. Wir sehen seine Liebe und Freude, wenn er mit seinem kleinen Sohn zusammen ist und wir sehen später seine abgrundtiefe Trauer, wenn Hagen diesen Knaben töten wird.

Trotz Hagens Abraten reisen die Burgunder zu Etzel und werden von ihm freundlich empfangen, während Kriemhild Etzels Bruder zum hinterhältigen Angriff auf die Knechte der Burgunder überredet. Es folgt ein Gemetzel, bei dem die in der Halle eingeschlossenen Burgunder sich gegen die Angriffe der Leute Etzels und seiner Verbündeten erwehren. Da die Kämpfe ohne Sieger bleiben, lässt Kriemhild das Dach der Halle anzünden. Der nächste Morgen sieht einzig Hagen und Gunther als Überlebende. Solange noch einer seiner Könige lebt, wird er den Ort des Nibelungenschatzes nicht verraten, sagt Hagen. Und als Kriemhild ihren Bruder Gunther töten und seinen abgeschlagenen Kopf vorzeigen lässt, da lacht Hagen: Jetzt wissen nur noch ich und Gott, wo der Schatz liegt. Kriemhild erschlägt ihn eigenhändig, um damit ihre maßlose Rache zu vollenden und sie wird daraufhin von Meister Hildebrand (Georg August Koch), einem letzten Gefolgsmann Etzels, getötet.

Mit der Notwendigkeit und Unbedingtheit, die so charakteristisch sind für die Stoffe der antiken und der germanischen Mythologie, steuert das Geschehen von Anfang an auf sein tragisches Finale zu. Vielleicht sind solche Stoffe nur mit den Mitteln des Stummfilms wirklich angemessen zu verfilmen. Dem archaischen Stoff korrespondiert hier die archaische Form. Ein Problem vieler neuerer Mythenfilme besteht ja darin, dass die pathetischen Dialoge unglaubwürdig wirken oder dass eine psychologische Figurenzeichnung dem Stoff nicht angemessen ist. Mythische Figuren handeln nicht als moderne Personen, sondern sie sind Archetypen, in denen Ideen und Weltanschauungen personifiziert werden. Fritz Lang hat sein Ziel einer adäquaten filmischen Umsetzung des Nibelungenmythos in beeindruckenden Bildern gemeistert.

Die Geschichte der Nibelungen ist wahrscheinlich der deutscheste aller Stoffe. Fritz Lang akzeptierte dies ganz bewusst, wenn er seinem Film die Widmung „Dem deutschen Volke“ voranstellte. Wobei zu berücksichtigen ist, dass Langs Werk 1924 in die Kinos kam, neun Jahre vor der Machtergreifung der Nazis. Dennoch gab es Kritiker, die in Langs Darstellung Parallelen zur Ästhetik des Faschismus finden wollten. Es lässt sich nicht bestreiten, dass mit Begriffen wie „Nibelungentreue“ oder mit der Glorifizierung der Siegfried-Figur der Nibelungenstoff für ideologische Zwecke missbraucht wurde. Es sollte aber deutlich geworden sein, dass dies im Film keinerlei Grundlage findet, sowenig wie im Stoff des Nibelungenmythos selbst. Im Gegenteil gilt es, das Werk vor faschistoiden Vereinnahmungen in Schutz zu nehmen.

Filmdaten

  • Die Nibelungen (1): Siegfried - Stummfilm, Deutschland 1924, Regie: Fritz Lang, Buch: Thea von Harbou und Fritz Lang, Kamera: Carl Hoffmann, Günther Rittau und Walter Ruttmann, Musik: Gottfried Huppertz, Produzent: Erich Pommer. Mit: Paul Richter, Margarete Schön, Hanna Ralph, Theodor Loos, Hans Adalbert von Schlettow, Rudolf Klein-Rogge, Bernhard Goetzke, Erwin Biswanger.
  • Die Nibelungen (2): Kriemhilds Rache - Stummfilm, Deutschland 1924, Regie: Fritz Lang, Buch: Thea von Harbou, Kamera: Carl Hoffmann, Günther Rittau und Eugen Schüfftan (Optische Spezialeffekte), Musik: Gottfried Huppertz, Produzent: Erich Pommer. Mit: Margarete Schön, Rudolf Klein-Rogge, Georg John, Theodor Loos, Hans Adalbert von Schlettow, Bernhard Goetzke, Erwin Biswanger.

entnommen aus der Filmzentrale