Gilgamesch: Unterschied zwischen den Versionen

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Andreas: Grün

Tobias: Schwarz

Matthias:

Tiemo:


Symposien

10.12.2008

2030 Matthias

Gedös.

Wir lesen Maul 2007. Vergleiche mit Schrott 2001 und George 1999.

Themen für die nächste Sitzung:


7.1.2009

2030 Andreas

Tiemo: Keilschrift

Tobias: Textgenese. Lokalgeschichtliche Einbettung des Epos.

Wir lesen Maul 2007: 1. Tafel (1-300)


22.1.2009

2000 Tobias

Wir lesen Maul 2007: 2. Tafel (1-300)

Andreas: Mythos


8.2.2009

Ab Dresden von Prag kommend.

Matthias: Sumerer.


16.2.2009

Tiemo?


A. Fragen, Thesen, Kurzeinträge, Literatur.

I. Fragestellungen

1. Um welches Wissen handelt es sich, welchen Zweck hat es und welche Form?


2. Inwiefern bedingen sich Form und Inhalt? Kann man sagen, was wichtiger ist?


3. Wie wurde Gilgamesh vorgetragen und rezipiert?


4. Welche Rolle spielen welche Gegensätze, etwa Lust-Freudlosigkeit, Ekstase-Weisheit, Leben-Tod, Freund-Feind bzw. welche Gegensätze gibt es?


5. Welche Agenten (etwa Menschen, Tiere, Götter, Dämonen etc.) bestimmen das Feld der Interaktionen und Ereignisse, und was zeichnet die Agenten aus?


6. Was bedeutet die sich ständig wiederholende Wendung: „er machte den Mund auf, um zu sprechen“? Tiemo: vielleicht Referenz zum Bildwert eines Keilschriftzeichens.


7. In Tafel II, 45 steht es: das Bier. Enkidu trinkt es, sieben Becher. dazu gibt es Brot. Spielt das Bier eine dem Beowulf-Met vergleichbare Rolle?


8. Warum wird Enkidu im Kampf mit Gilgamesch (Tafel II) plötzlich Gilgameschs Freund? Was heißt es, Freund zu sein?


9. Was bedeutet die oft zwei- oder dreifache Wiederholung textgleicher Bausätze? Es könnte: 1. an oralen Vortragsweisen liegen, um zentrale Stellen einprägsam darzustellen. 2. eine Art Rhytmisierung darstellen, die auch einigen kultischen oder religiösen Zeremonien zugrundeliegt (Sutren im Buddhismus etc.).


10. Bis zum Ende von Tafel II keine Musikreferenz!


11. Beachten: Überschneidung der Namensgebung: Ishtar, die Liebesgöttin, die anregt, Enkidu zu schaffen, und das Babylonische Ishtartor.


12. Ein Fallensteller überführt Enkidu, eine List transformiert Natur in Kultur, genau so, wie Fallen Tiere essbar machen.


13. Tafel 2-4: Enkidu, Gilgamesh stellen sich dem Unbekannten, dem Unbändigen (Humbaba) es entwickelt sich eine Dynamik zwischen Aufgabe als Abenteuer und Bewährung, Furcht/Angst und Mut, sich nähernden, etappenweisen gerichteten Bewegungen (der Weg zum Zedernwald), und die Aussicht auf eine Rhytmik des Aus- und Einziehens (durch das Tor von Uruk).


14. Das Unbändige als fast reine Natur in Form von Humababa scheint (Tafel 2 bis 4) die Figur des Enkidu zu spiegeln. Es bedarf der Götter, um Enkidu zu schaffen und es bedarf göttlicher List, um Humbaba zu stellen.


15. Die Machthierarchien und Genese der Götterwelt ist unklar.


16. Waffen gegen Humbaba (Tafel 2): Äxte, Schwerter.


17. Huren im Tempel der Göttin Ninsun, der Wildkuh (Tafel 3).


18. Welche Rolle spielt die Licht-Rhythmik eines Tages: Dämmerung, nacht, Morgen, etc.


19. Tafel 4: Hier kommt es zu einer Abfolge von Träumen des Gilgamesh, die Angst gerieren und von Enkidu, der ihm eine Traumhütte baut, eine Art Schutzring aus Kreide darum zeiht und sich als Traumfänger vor die Hütte legt, in Mut transformiert wird.


20. Enkidus Sozialkompetenzen der Gemeinschaft der Tiere (Reproduktion, Schutz der Gruppe vor dem Fallensteller, Beistehen etc.) gehen fließend in die Gemeinschaft der Menschen über.


21. Warum will Gilgamesh plötzlich bzw, durekt nach dem Kampf mit Enkidu Humbaba töten? Ist es göttlicher Befehl (Stelle?) oder aus dem Selbst kommender (wenn es denn so etwas hier gibt) eigener Entschluss oder irgendwie beides?


22. Tafel 2: Der beratende Ältestenrat hat eine ähnliche Rolle wie der Chor in griechischen Tragödien. Der Rat ist weise, versucht, die Hybris des Herrschers zu begrenzen, ruft zum Besonnenen, auf die Gemeinschaft bezogenen Handeln auf.


II. Datierungen, Textgenese

1. Nach Schrott 2001: Drei Quellen: Sumerische Kurzepen (2100), Altbabylonische Fassung (1700), ninivitische Fassung (Textfund 650, Abfassungsdatum unbekannt, aber nach der Altbabylonischen).


III. Erzählform, Stil

1. Keine Strophengliederung, aber zwei Doppelverse bilden meist eine Einheit (auch: drei- und fünfzeilige Einheiten). Verse enden mit einem Trochäus (lang-kurz).


IV. Vergleiche mit anderen Erzählungen und Topoi

1. Sinflut: Genesis, Bibel

2. Hure-Enkidu: Adam-Eva


V. Übergreifende Thesen

1. These: Aus der hybriden Zeugung (48) Gilgameshs (Mensch-Gott/Dämon?) geht ein grundlegendes Spannungsgefüge der Erzählung hervor.


2. These: (zur 1. Tafel) Die Spannung zwischen Verhülltem und Enthüllen bestimmt die Tafel. Gilgamesh entdeckt und kennt das Verborgene durch den enthüllenden Blick in das Verborgene, Tiefe. Die Tafeln selbst sind in einem Kasten verborgen, den der Leser öffnen soll. Gilgamesh entdeckt, öffnet, dehnt den Meer- und Weltzugang, überschreitet Grenzen, unterwirft Völker, enthüllt durch Bewegung, durch Sich-Entfernen vom Ursprung, dem Geburtsort. Enthüllen ist eine gegen etwas Widerständiges (Verborgenes) gerichteter Akt: Blick in die (dunkle) Tiefe, Reise ins Entfernte, Kampf.


3. These: (zur 1. Tafel) Hybris-Motif. Menschliche Existenz heißt, Widerständiges enthüllend Überschreiten und zugleich Erkennen, dass der Mensch (gegen die Götter) beschränkt bleibt (doch was ist hier ein Gott?). Gilgamesh vergisst dies. Er herrscht in Uruk quasi ohne Widerstand (vgl. 63-86). Erst Enkidu retabliert die Ordnung, er ist Freund Gilgameshs, weil er sein Widerpart ist.


4. These: (zur 1. Tafel) Enkidu ist stark, weil er unentgrenzt Natur ist (der, der in der Steppe, 223) geboren ist, als Tier mit Tieren lebt, ohne Fallen stellen zu müssen, wie der Jäger, der ihn entdeckt (Rousseau-Hobbes-Thema!). Aber er "erkennt" nicht, was er ist, nämlich ein Mensch. Damit er ein (geschwächter) Mensch wird, entsteht eine komplizierte Figur, deren Vergleich mit dem Sündenfall zu bedenken ist: Die Frau als Hure und Lustobjekt (Reiz) bricht Enkidu, indem sie durch Sex zeigt, was Enkidu ist: einer, dem nach Menschen verlangt. nach sieben Tagen Sex verlangt Gilgamesh nach mehr Sex, Frauen und einem Freund! (vgl. 214) Die Tiere wenden sich von ihm ab. Diese Wandlung ist kompliziert, da aus der Perspektive der Moderne die Hure ja das Tier in Enkidu weckte, im Epos jedoch den Menschen in Enkidu. Daher muss grundsätzlich gefragt werden: Was heißt es, Hure zu sein? Lust zu erzeugen und zu empfinden? Ist es überhaupt Lust?, Wörter wie "Reiz" deuten es an. Dazu kommt das Enthüllen der Hure am See (184ff.), das auf das Thema Verhüllen-Enthüllen anspielt (2. These). Erkennen, Wissen als ultimativer Lust-Akt. Sich im Verbinden, Durchdringen mit dem Anderen, Sterben im Anderen (Orgasmus, petit mort im Französischen) Selbst erkennen (romantisches Motiv!). Das ist nur Menschen möglich, zeichnet den Mensch aus, und macht ihn zum Menschen. Archehandlung ist der Hurenakt, der Reiz, der vom Anderen ausgeht, und zugleich den Anderen anzieht. Dem Reiz nachzugehen, heißt, Mensch sein, Mensch werden.


5. These: Die Themen 'Macht und Kraft haben, ausüben, erfahren, verführen, transformieren und sich ihnen widersetzen' formen die Dynamik der Erzählung. Enkidu will mit Gilgamesh kämpfen, um zu zeigen, dass er stärker ist (I, 220), dann wird er in Tafel II sein Freund, als er erfährt, dass Gilgamesh ihm widersteht (gleichstark ist). Zu fragen ist, was sie kennzeichnet und was sie voneinander differenziert. Woher kommen sie, was bedingt sie, wie erhalten sie sich?


6. These: In der ersten und zweiten Tafel geht es um Phasen der Individuierung und Menschwerdung von Enkidu aus einem Naturzustand (Tierheit). Man könnte sagen: gewisse Naturtriebe werden vermenschlicht reproduziert. Diese Phasen führen über die Verführung/Sex (Reproduktion der Art), zum Essen/Trinken (Reproduktion als ständige physische Erhaltung des Selbst), zum Kampf (Reproduktion als ständige Bewährung der Macht) und zur Angst vor dem Verlust des 'Freundes' (Reproduktion als ständiger Hang zum Anderen, zur Vergesellschaftung (Enkidu lebt auch in Tiergruppen)).


7. These: (ab Tafel 2 bis 4): In der Erzählung geht es um fortgesetzte Transformationen zwischen einer Natur als Ursprung (Kraft, Reproduktion, symbolisiert durch Enkidu) und einer Natur als Unbekanntes, Widerständiges, Bedrohliches (Zedernwald, Sintflut, symbolisiert durch Humababa), deren Ziel so etws wie die Erkenntnis des Menschlichen Daseins selbst ist (symbolisiert durch Gilgamesh; beachte am Anfang: der, der in die Tiefe sah). Dieser Weg zu sich selbst führt über Aufgaben: die Menschwerdung als Lust, der Kampf mit dem, der Freund wird, der Freund als der, der die Angst vor dem Unbekannten mitträgt, auf sich zieht (Traumfänger) und entschärft, die Bruder-Gemeinschaft (Wechselseitigkeit) als Aufnahme in die Sippe/Familie, durch die man dem Unbekannten standhält, letztlich der Weise, der seine eigene Begrenztheit und zugleich den Weg der Transformationen und die Aufgaben 'sieht'.


VI. Literatur

George, Andrew: The Epic of Gilgamesh. London et al: Penguin Books 1999.

Maul, Stefan M.: Gilgamesh. München: Beck 2007.

Schrott, Raoul: Gilgamesh. München: Hanser-Verlag 2001. - siehe dazu ein Artikel aus der Zeit

Tigay: The Evolution of the Gilgamesh Epic 1982. (PDF)

B. Ausführliche Themen

I. Textgenese

1. Maul 2005

9

Im Dezember 1872 stellte der britische Assyriologe George Smith auf einer Sitzung der Londoner Society of BiblIical Archaeology das Bruchstück einer Tontafel vor, das man in den Ruinen der assyrischen Hauptstadt Ninive im Schutt des Palastes des Assyrerkönigs ssurbanipal (668-627 v. ehr.) gefunden hatte. Das Tafelfragment gehörte zu einem dichterischen Werk, in dem in formvollendeter poetischer Sprache, in dem dem Hebräischen recht nahe verwandten Babylonischen, die Geschichte von der Sintflut und dem «Überaus-Weisen» erzählt wurde.


10

... die Eroberer Ninives hatten im Jahre 612 v. Chr., bevor sie den Palast in Brand gesteckt hatten, auch in den königlichen Bibliotheken übel gehaust und Abertausende von Bruchstücken der mutwillig zerschlagenen Tafeln in einem Umkreis von mehreren hundert Metern über Räume, Säle und Höfe des Palastes verstreut. Nur das, was zweieinhalb Jahrtausende später unter meterhohem Schutt noch aufzufinden war, war ins Britische Museum gelangt.


Nach langer und geduldiger Arbeit (es müssen immer wieder kleine und kleinste Tafelbruchstücke als zusammengehörig erkannt und physisch miteinander verbunden werden) zeigte sich, daß die große Dichtung um König Gilgamesch stets auf Tontafeln niedergeschrieben worden war, die drei Kolumnen auf der Vorderseite und drei

Kolumnen auf der Rückseite aufwiesen, wobei eine jede etwa fünfzig Zeilen umfaßte. Die Tafeln des Werkes waren numeriert, und schließlich fand sich eine, es war die zwölfte Tafel, auf der vermerkt war, daß es sich bei dieser um die letzte handelt. Zwölf Tafeln mit insgesamt weit über dreitausend Versen galt es also, aus den vielen kleinen Fragmenten zusammenzuflicken. Diese philologisch-physische und ganz grundlegende <Arbeit am Mythos> ist auch heute, mehr als 130 Jahre, nachdem die erste Passage des Textes bekannt wurde, noch nicht abgeschlossen.


Mit seiner hervorragenden neuen wissenschaftlichen Edition des Gilgamesch-Epos aus dem Jahr 2003 stellte der Londoner Altorientalist Andrew R. George unsere Kenntnis des Gilgamesch-Epos auf eine völlig neue Grundlage. Seine jahrelange, unermüdliche Suche nach unerkannten Stücken des Epos in allen Museen der Welt war von großem Erfolg gekrönt. Der britische Gelehrte konnte über 100 Textzeugen des Epos zusammentragen, die keineswegs nur aus der Assurbanipal Bibliothek in Ninive, sondern auch aus anderen Städten des Zweistromlandes stammen (aus Assur, Kalchu und Huzirina, aus Babyion und Uruk). Die neue Textrekonstruktion des Gilgamesch-Epos, in der zahlreiche zuvor unbekannte Tontafeln verwertet sind, hat zur Folge, [11] daß alle vor dem Jahr 2003 erschienenen Übersetzungen des wohl bedeutendsten literarischen Werkes des Alten Orients mit einem Male veraltet sind.


11

Die hier vorgelegte Übersetzung fußt auf der neuen Textedition von Andrew R. George. Darüber hinaus werden in dem vorliegenden Buch zum ersten Mal fünf weitere, zum Teil umfangreiche Bruchstücke von Tontafeln aus Assur mit bislang unbekannten Passagen des Gilgamesch-Epos berücksichtigt. Die erst jüngst entdeckten Tontafelfragmente füllen Lücken in der ersten, fünften, sechsten, siebten und zehnten Tafel der Dichtung und erweitern unsere Kenntnis des Gilgamesch-Epos erheblich. Trotz der Fortschritte in der Textrekonstruktion fehlt von dem Epos um König Gilgamesch immer noch mehr als ein Drittel. Es bleibt daher leider noch allerlei Unklares und wohl auch manches Mißverstandene.


13

Heute veranlaßt uns der Sprachstand des Gilgamesch-Epos zu glauben, daß das Werk in seiner vorliegenden Form im letzten Drittel des [14] zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand. Obgleich in der Einleitung des Epos der Eindruck hervorgerufen wird, als sei die Heldendichtung ein uralter, ursprünglich auf steinerner Tafel niedergeschriebener Rechenschaftsbericht des Königs von Uruk, war der Dichter des Gilgamesch-Epos gewiß kein Zeitgenosse des Gilgamesch. Denn als das Epos des Sin-leqe-unnini seine endgültige Gestalt erhielt, waren die Sagen um König Gilgamesch bereits uralt. Heute wissen wir, daß dem Dichter Sin-leqe-unnini als Grundlage für sein Werk eine erheblich ältere Version des Epos zur Verfügung stand, die ebenfalls in babylonischer Sprache verfaßt und wohl schon im 18. vorchristlichen Jahrhundert entstanden war. In diesem uns bisher nur bruchstückhaft bekannt

gewordenen altbabylonischen Gilgamesch-Epos waren mehrere, ihrerseits noch weit ältere, unabhängige Gilgamesch-Erzählungen zu einem harmonischen und schönen Ganzen zusammengefügt. Den Namen des Schöpfers dieses frühen sprachlichen Meisterwerkes kennen wir nicht. Sin-leqe-unnini übernahm mehr oder minder unverändert lange Passagen

des alten Textes in sein umfangreiches Werk. Schon das altbabylonische Gilgamesch-Epos, das Sin-leqe-unnini als Vorlage gedient hatte, war zu großer Berühmtheit gelangt, als sich das Babylonische um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends von Kleinasien bis nach Ägypten als internationale Diplomatensprache der Welt des Alten Orients durchgesetzt hatte. Textfunde beweisen, daß sich die Dichtung um Gilgamesch, die ja nicht allein von der ernsten Frage nach Leben und Tod, sondern auch von Freundschaft und Liebe, von königlichen Heldentaten und kühnen Abenteuern handelt, auch an den Königshöfen Syriens, Palästinas und Kleinasiens großer Beliebtheit erfreute.


14

Die ältesten uns erhaltenen Erzählungen um König Gilgamesch sind in der uralten sumerischen Sprache niedergeschrieben, die die Schöpfer der frühen Hochkultur des südlichen Mesopotamien gesprochen hatten. An der Wende vom dritten zum zweiten vorchristlichen Jahrtausend zählten diese Texte zur Pflichtlektüre in den Schulen des Zweistromlandes und wurden von denjenigen, die die aussterbende sumerische Sprache erlernten, immer wieder abgeschrieben. Aus Hunderten Einleitung [15] von Tontafelbruchstücken, die sich im Ruinenschutt mesopotamischer Städte fanden, ließen sich diese Perlen sumerischer Literatur rekonstruieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich sogar unter den noch weitgehend unverständlichen ältesten literarischen Keilschrifttexten in Numerischer Sprache aus dem 26. Jh. v. Chr. dichterische Werke befinden, die von Gilgamesch, dem König von Uruk, künden. Die mündliche Überlieferung von Erzählungen der Abenteuer und Heldentaten des Gilgamesch dürfte bis in die Zeit des frühen dritten vorchristlichen Jahrtausends zurückgehen, als ein König namens Gilgamesch tatsächlich in der südmesopotamischen Stadt Uruk regiert haben mag.


2. Schrott 2001.


12

Aus der Ära dieser sumerischen Herrscher von Ur stammen nun die ersten sumerischen Kurzepen um Gilgamesh: Gilgamesh und Agga; Gilgamesh, Enkidu und die Unterwelt; Gilgamesh und der Himmelsstier, Gilgamesh und Huwawa und Tod des Gilgamesh. Ihren Ursprung fanden sie wohl in alten, oral tradierten Gesängen, die von den Hofdichtern aufgegriffen und zur Unterhaltung vorgetragen wurden, um dann schriftlich fixiert zu werden; die Texte gehen wahrscheinlich auf die Kopien in Shulgis >Tafelhäusern< zurück. Narrativ noch unverbunden, geben sie jedoch bereits die Grundmotive der späteren Geschichte vor - und sind wie alle Epen bereits Abbild einer Gegenwart.


13

[Altbabylonische Fassung]

Mit dem 18. Jahrhundert wandelt sich die politische Lage erneut. Eine neue Welle von Immigranten fallt ein, die aus demselben Ursprungsraum stammen wie zuvor die Akkader; man nennt sie die Amorriter, die >Westlichen<. Auch die Sprache ist mit der der Akkader verwandt, ein weiterer nordwestsemitischer Zweig, aus dem später sowohl das Ugaritische

und das Hebräische entsteht. Und wieder werden sie in diesem Schmelztopf des Nahen Ostens von der sie umgebenden Kultur schnell assimiliert und verschaffen ihr zugleich neuen Schwung. Von 1792 bis 1750 etwa war es der Amorriter Hammurapi, der die in Stadtstaaten zurückgefallenen Länder Sumer und Akkad sowie das nördliche, ebenfalls längst semitische Assyrien rund um seine bis dahin unbedeutende Hauptstadt Babylon reorganisierte. Wie die alten [14] mesopotamischen Könige vor ihm baute und restaurierte er Tempel, Stadtmauern,

öffentliche Gebäude, Kanäle, setzte erstmals Marduk als obersten Gott ein, focht wie inuner Kriege um die Wasserrechte am Euphrat und konsolidierte mit seinen Gesetzen die Idee eines territorial einheitlichen Staates. Sein Codex - der Handelsregelungen ebenso umfaßte wie Familien-, Straf- und Bürgerliches Recht - war um ein gewisses Maß an Vereinheitlichung verschiedener Traditionen bemüht, vor allem aber als Selbstdarstellung eines über ein Großreicn gebietenden idealen Herrschers angelegt. Ob er jemals angewendet wurde, ist umstritten; aber auch als Konzept belegt er einen gewissen ideellen Wandel hin zu einer Art aufgeklärten Monarchie. Das Sumerische war zu dieser Zeit bereits als Umgangssprache ausgestorben, die generell konservative mesopotamische Kultur aber führte es in seinen Schreibstuben immer noch als Schriftsprache weiter, ähnlich der mittelalterlichen Gelehrtensprache des Latein. Die Götter sind nun gebräuchlicher unter ihren akkadischen Namen und selbst wenn die Hofdichter noch gelegentlich auf Sumerisch schrieben oder daraus übersetzten, so wurde der überwiegende Teil der Texte doch auf Akkadisch

abgefußt - Werke in einem modernen Sinn, die zwar von antiken Überlieferungen inspiriert waren, aber in sie eine zeitgenössische Perspektive einbrachten. Dazu zählen die zwölfhundert Verse des Epos von Atrahasis, dem >Überaus Weisen<, aus dem später die Geschichte der Sintflut an manchen Stellen sogar wortwörtlich in das Gilgamesh-Epos einfließen sollte: eine Geschichte der Menschheit und des Kosmos von den mythischen Anfangen bis zur Gegenwart, eine Neudefinition der menschlichen Existenz und ihres Sinns. Mit derselben Geisteshaltung griff aber auch ein ebenso unbekannt gebliebener Autor den alten Gilgamesh-Stoff wieder auf, um das erste Großepos der Weltliteratur zu schreiben.


15

[Ninivitische Fassung]

Die Herrschaft der Kassiten, die keine großen imperialistischen Gelüste hatten, dauerte bis 1150; und auch unter ihnen änderte sich an der mesopotamischen Kultur nichts - sie überstand alle Machtwechsel, indem sie letztlich allen ihren Stempel aufprägte. So setzte beispielsweise nach [16] den Kassiten eine neue Immigrationswelle semitischer Stämme aus dem Nordwesten ein, deren Sprache das Aramäische war und zu denen auch die Chaldäer zählten. In ihrem Raum war längst schon das einfacher zu lernende Alphabet gebräuchlich - die traditionsbewußten Mesopotamier werden es jedoch noch viele Jahrhunderte lang ignorieren; damit war aber wohl kein Fortschritt in der Schreibgeschwindigkeit, sondern lediglich in der Erlernbarkeit erzielt. Die elitäre Kaste der Schreiber hatte darüber hinaus natürlich ihren eigeneh Fortbestand im Sinn. Assyrien war während dieser Zeit zu seiner vorherigen Unabhängigkeit zurückgekehrt und begann mit Babyion an Macht und Rang zu rivalisieren. Unter der Dynastie der Sargoniden (720-609) - deren militärische Kampagnen gegen Persien, Ägypten und Israel gerichtet waren, wie wir aus der Bibel wissen - wurde die Hauptstadt von Assur nach Ninive verlegt. Ihr berühmtester Herrscher Assurbanipal (668-627) war wie Shulgi vor ihm ein allseits gebildeter Mann, der von sich behaupten konnte, daß der Gott Nabu, der Schreiber des Universums, ihm das Geschenk des Wissens aller Weisheit zu eigen gemacht und Ninurta, der Gott des Krieges, und Nergal, der Gott der Jagd, ihn mit einer Gestalt männlicher Härte und unvergleichlicher Stärke ausgestattet hatte. Auf seinen Befehl hin wurden die babylonischen Gelehrten angewiesen, Kopien ihrer gesamten Literatur in die Hauptstadt zu schicken. Zwanzig Jahre nach seinem Tod aber zerfiel auch dieses Reich; Assyrien wurde erneut Babylonien angegliedert, in dem sich inzwischen die Chaldäer Init Nebukadnezar etabliert hatten.

Das Gilgamesh-Epos erlebte aber gerade zwischen dem Ende des 2. und denl Beginn des 1. Jahrtausends seine größte Rezeption, denn wieder steht es für den klassischen Modellfall eines idealen Herrschers. Man hat bis heute über 200 bruchstückhafte Tontafeln ausgegraben, in Uruk, Nimrud, Assur und vor allem Ninive, wo allein in der >Bibliothek Assurbanipals< 150 davon wieder ans Tageslicht kamen. Sie alle sind Abschriften einer einzigen Fassung, die zwischen dem 9· Jahrhundert und 250 v. u. Z. unverändert gleich bleibt. Allgemein bekannt war sie unter den drei Worten, mit denen das Epos beginnt: Sha Naqba Imuru - >Der Alles/ Die Tiefe Sah<. Heute wird sie, um sie von der altbabylonischen Fassung zu unterscheiden, allgemein als Ninivitische Version bezeichnet. Ein bibliographischer Katalog der Zeit nennt auch ihren Autor: Sinleqe-unninni, Exorzist. Mehr weiß Inan nicht von ihm. Dem Namen (>Oh Mondgott Sin Nimm Mein Gebet An<) und seinem Idiom nach zu schließen, könnte er irgendwann gegen Ende des zweiten Jahrtausends gelebt haben. Erwähnt wird er nur noch in einer Königsliste aus dem zweiten Jahrhundert v. u. Z. aus Uruk, wo es heißt: Während der Herrschaftszeit Gilgameshs war Sin-Ieqe-unninni dessen Berater - was aber nur [16] einen später scheinbar notwendig gewordenen historischen Legitimationsanspruch der Geschichte belegt. Vermuten läßt sich durch diese Bezeichnungen immerhin, daß der Autor zu seiner Zeit einen gewissen literarischen Ruf genoß und ihm explizit die Neufassung das Urstoffs zugestanden wurde.

An die 3000 Verse lang (von denen etwa 600 immer noch fehlen), auf elf Tafeln verteilt, war sie länger als die altbabylonische Fassung. Wie der Vergleich der Bruchstücke der einen Version mit der anderen zeigt, hielt Sin-leqe-unninni sich eng an die Vorlage, kopierte sie stellenweise wörtlich, streckte sie sehr oft aber auch, um sie rhetorisch auszuschmücken - die alte Version ist härter und direkter im Tonfall und realistischer, die neue verboser, pompöser, im eigentlichen Sinn des Wortes: epigonal. Manche Verse und Episoden dürfte er hier und dort nach eigenem Gutdünken eingegliedert haben, so vielleicht die ganze Erzählung der Sintflut - jedenfalls verrät er die Vorlage, wenn er statt Ut-napishti einmal aus Versehen >Atrahasis< schreibt. Man bemerkt jedenfalls, daß der Autor sein Material kompiliert hat und eine allseits bekannte Erzählung voraussetzt, denn die Übergänge von einer Episode zur anderen sind oft abrupt und selten um einen roten Faden bemüht - so ist die Rückkehr Gilgameshs nach Uruk beim ersten und beim zweiten Mal ebenso kursorisch, wie auch das Auftauchen Ishtars unvermittelt bleibt.

Sin-leqe-unninnis Version ist bereits historisierend; wenn sie die Formelhaftigkeit der sumerischen Texte, ihre wiederholenden Parallelismen benützt, dann als Zitat, um auf die Archaik des Epos zu verweisen. Gleichzeitig aber erhält diese auf geschriebenen Vorlagen beruhende Fassung dadurch auch wieder einen quasi postmodernen Zug von Schriftlichkeit. Die Wortspiele sind klar herausgearbeitet, die wörtliche Wiederholung der Eingangsstelle am Schluß der Geschichte schafft eine Klammer, die den Text sowohl inhaltlich wie formal als Text präsentiert und ihn verschachtelt, indem er die Autorschaft wieder abgibt: denn es ist Gilgameshs Bericht, den man gehört und gelesen hat - da ihm jene Tontafeln zugrunde liegen, die Gilgamesh als Grundstein seiner Mauer verwendete. Angehängt an das Epos findet sich allerdings noch eine zwölfte Tafel, ein Appendix, der im wesentlichen aus einer Übersetzung des sumerischen Kurzepos Gilgamesh, Enkidu und die Unterwelt besteht. Vermuten läßt sich, das sie von einem späteren Redaktor vielleicht mit der bewußten Absicht erdacht wurde, das Epos mit einer Ursprungslegende für Gilgameshs Funktion als König der Unterwelt und Richter der Toten auszustatten.


II. Sprache, Schrift

1. Schrott 2001, 8: Sumerer, Akkader, Schwarzköpfe.

"Von den diversen Ethnien, die dieses Land im Laufe des 4. Jahrtausends zum Zentrum der ersten Hochkultur machten, sind uns nur die zuletzt gekommenen namentlich bekannt: die Akkader und die Sumerer. Sie besiedelten den zwischen den zwei Strömen liegenden Landstrich südlich des heutigen Bagdad bis zum Meer. In der nördlichen Hälfte dieses Gebiets ließen sich die Akkader nieder, die aus den Randzonen der syrischen Wüste kamen und der semitischen Sprachgruppe angehörten. Von den Sumerern im Süden weiß man hingegen weder, woher sie stammen, noch kennt man die Herkunft ihrer Sprache (obwohl bisweilen eine Verwandtschaft mit den dravidischen Sprachen Indiens ins Spiel gebracht wird). In Mythen aus viel späterer Zeit werden sie als Schwarzköpfe bezeichnet, die vom Meer kamen; und es sollen die legendären Sieben Weisen gewesen sein, die die Einsässigen in das zivilisierte Leben eingeführt haben."


2. Keilschrift – 7.Jan 2009 (Tiemo)

Keilschrift expl.jpg

Schriftkategorien

(Siehe auch http://www.uni-duisburg-essen.de/Ev-Theologie/courses/course-stuff/hebr01alphabet.htm)

  • Tokens
  • Bilderschrift
  • Wortschrift
  • Silbenschrift bzw. Lautschrift – phonetische Schrift
  • Konsonantische Alphabetschrift
  • Vokale Alphabetschrift

Keilschrift durchläuft alles von der Bilderschrift bis zur Konsonantischen Alphabetschrift


Keilschrift.png

Keilschrift

  • In Stein, Silber oder Ton (gebrannt oder ungebrannt zum Teil mit Schutzhaube aus Ton) geritzt mit stumpfen Keil (Schreibgriffel aus Schilf oder Holz)
  • Typische Größe von Tontafeln - 15 bis 22 cm, aber auch zum Teil sehr kleine Schrift auf 3qcm großen Tafeln mit 6 Zeilen (Vergrößerungsglas notwendig)

Zeitrahmen

  • 3500 v. Chr erst als Bilderschrift bzw. Wortschrift (z.B. stehen und gehen durch einen Fuss)
  • 2700 v. Chr. Hochkultur der Sumerer – Keilschrift dominiert in der Region - Entwicklung der Schreibwerkzeuge hin zur abstrakteren Linienschrift - Rationalisierung
  • Ab 2300 drangen Semiten (Akader) in das Gebiet ein und entwickelte die Schrift weiter
  • Bis 1500 v. Chr. – Dominanz beginnt zu enden - Verdrängung durch griechisch und phönitzische Lautschriften – den Vorläufern des Altgriechisch (Alphabetschrift zum Teil mit Vokalen)
  • 330 v. Chr. – persische Keilschrift (Alphabetschrift)
  • bis 1. Jhdt. n. Chr. – letztes Zeugnis - astronomische Tabelle

Verbreitung in den Spachkulturen

  • Ursprünglich Sumerisch,
  • dann an akadisch angepasst – babylonisch und assyrisch sind Dialekte des akadischen
  • Ansonsten bis nach Armenien im Norden und bis Palästina zum Teil mit anderen Symbolen
  • Auch Hethiter (indogermanische Sprachfamilie) nutzen die Keilschrift
  • Am Ende des Jahrtausends bis nach Syrien und Ägypten - weitere Varianten Hurritisch, Eblaitisch, Hetitisch, Luwisch, Palisch, Elemisch, Uartäisch etc.
  • Neue alphabetische Schriftsysteme aus Keilschrift abgewandelt – Ugarisch, persische Keilschrift - Altpersich

Gründe für die Verbreitung - Mutmaßung

  • Logogramme konnten einfach in andere Sprachen umgewandelt werden
  • Ton und Holz vorhanden
  • Rationalisierung und Formalisierung in größeren Verwaltungsstrukturen notwendig

Schriftgut

  • erst nur Verwaltungsschrift,
  • später religiöse und politische Dokumente
  • dann wissenschaftliche und unterhaltende Literatur (Klagelieder, Mythen, Hymnen Epen, Wahrsagesprüche)
  • später als Botendokument

Entwicklung

  • Keil.png
    Bilderschrift
    • Säugetieren, Vögeln, Insekten, Fischen, Bäumen, Sternen und Wolken, Erde und Wasser, Gebäuden, Booten, Haushaltsgegenständen, Feuer, Waffen, Kleidungsstücken, Kultgegenständen, Netzen, Fallen, Tonwaren und Musikinstrumenten
    • 1500 Zeichen
    • Viele Sumerische Wörter einsilbig
    • Aber auch Logogramme für ganze Bedeutungen (Sätze) oder mehrere Wörter
    • Beispiele
      • Berg – drei Berge,
      • Auge und Wasser zu Weinen,
      • Fürstin durch Frau und Schmuck,
      • Heuschrecke stand für Heuschrecke und für Vernichtung
  • Silbenschrift
    • die Zeichen entsprachen verschiedenen Silbenwerten
    • 600 Zeichen (Logogramme, Phonogramme und Determinante und später Begrenzungszeichen – ca. die Hälfte fungierte als Logogram wie auch als Silbenzeichen
    • Aber auch viele Wörter mit gleichem Laut, die dann auch gleich geschrieben wurden, obgleich die Bedeutung entfernt ist.
    • Beispiel
      • A stand für Fluss aber auch für in – also wurde Fluss auch für in und später als Zeichen für den Laut a genutzt oder sogar für ähnliche Laute (Phonetisierung)
  • Elamisch
    • 96 Silbenzeichen, 16 Logogramme, fünf Begrenzungszeichen
  • Alphabetische Schrift
    • Am Ende erreichten nur die persische (36 Zeichen mit Worttrennzeichen – 330 v. Chr.) und ugarische Keilschrift (22) den Schritt zum Alphabet.

Entzifferung

  • über Gesetzessteine in mehreren Übersetzungen (17 Jhdt)


III. Geographie

1. Schrott 2001, 7.

"Mesopotamien ist, geologisch gesehen, ein junges Land. Sein Gebiet - das in etwa den heutigen Irak und Syrien umfaßt - wurde nach dem Ende der letzten Eiszeit, vor etwa 12000 Jahren, langsam freigelegt. Von dem, was ursprünglich das Bett eines riesigen Stromes war, blieben nur Schwemmland und die Flüsse Euphrat und Tigris zurück. Im Süden des Landes, im späteren Babylonien, wird die menschliche Besiedlung allerdings erst ab dem 5. Jahrtausend greifbar - nach der Zeit, als abschmelzende Gletschermassen den Spiegel des Mittelmeers gehoben und es daraufhin das Bosporustal durchbrochen hatte, den dahinter liegenden Süßwassersee überflutete und das Schwarze Meer entstehen ließ. Ob sich so der Mythos von der Sintflut erklären läßt, muss Vermutung bleiben; unzweifelhaft jedoch ist, daß diese Naturkatastrophe in jenen Kernraum zwischen Anatolien und der Kaspischen See fiel, in dem dann sowohl die indo-europäische wie die mesopotamische Kultur ihren Anfang nahm."


IV. Religion: Götter und Monster

1. Schrott 2001, 10.

"Als dargestellte Natur sind diese Götter von einer Gewalt, so hart und brennend schmerzhaft zu empfinden wie das steile Licht über der Wüste; der von ihnen ausgehende >blendende Glanz< ist daher auch das sie am häufigsten schmückende Beiwort. Als ein Teilstück der Natur unterwirft und erniedrigt man sich vor ihnen und fürchtet sie. In ihre Nähe begibt man sich nur gezwungenermaßen: man dient ihnen; das Verb >lieben< wird nur selten - und dann auf Könige bezogen - in Verbindung mit den Göttern gebraucht (wie auch die Idee einer Liebe zu einem Gott erst Erbe der jüdischen und christlichen Religionen ist). Statt von

mysthischen oder gar dionysischen Verzückungszuständen geprägt, ist das Verhältnis zu ihnen lethargisch oder apathisch, von formelhaften Ritualität geprägt: es ist Fatalismus und Angst, der die menschliche Existenz kennzeichnet. Sich im Schatten der Götter zu sehen und die eigenen Vorgänger als Göttlich zu bezeichnen, diente deshalb auch der Rechtfertigung des eigenen Ranges als König. Als nach dem Zusammenbruch von Sargons Reich ein Teil der Stadtstaaten wieder unter der sumerischen Herrschaft der sogennanten III. Dynastie von Ur (ca. 2100-2000) geeint wurde, berief man sich bereits auf den >Freund<, >Bruder< und >Urahn< Gilgamesh."


V. Kulturgeschichtliche, völkerkundliche und urbane Aspekte

1. Maul 2005, 16-17

16

"Man sollte sich hüten, die Gestalt des Gilgamesch allzu schnell dem Reich der Sagen zuzuweisen. Denn zumindest einer der Herrscher, die der <Sumerischen Königsliste> zufolge vor Gilgamesch regiert haben sollen, muß als historische Persönlichkeit des frühen dritten vorchristlichen Jahrtausends gelten. Obgleich man ihm, so wie auch Gilgamesch selbst, eine undenkbar lange Regierungszeit zuschrieb, beweisen Keilinschriften dieses Fürsten eindeutig dessen Historizität. Es ist daher keineswegs unwahrscheinlich, daß auch ein König mit dem Namen Gilgamesch in Uruk regierte. Die eindrucksvolle, mehr als 9 km lange, turmbewehrte Mauer, die Uruk umfriedete, könnte durchaus von diesem König errichtet worden sein. Archäologische Forschungen [17] Einleitung der letzten Jahrzehnte bestätigen jedenfalls, daß, in Übereinstimmung mit der Überlieferung der altorientalischen Gilgamesch-Dichtungen, die wohl erstmals im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. errichtete Mauer von Uruk tatsächlich die älteste Stadtmauer des Zweistromlandes ist. Die Ausgrabungsergebnisse der letzten Jahrzehnte lassen auch keinen Zweifel daran, daß in der Frühgeschichte Mesopotamiens Uruk

die führende Rolle spielte. Im vierten Jahrtausend v. Chr. hatte sich die schnell anwachsende Stadt zum Mittelpunkt der sumerischen Hochkultur entwickelt und baute weit über Mesopotamien hinausreichende Handelsbeziehungen auf. Die immer komplexer werdenden Verwaltllngsaufgaben, die mit dem Unterhalt und der Beschäftigung Zehntausender von Menschen verbunden waren, führten im Uruk des ausgehenden vierten vorchristlichen Jahrtausends zu einer folgenreichen Innovation. Weitsichtige Verwaltungsbeamte hatten dafür gesorgt, daß erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Schrift entwickelt wurde, um schwierige Buchungsvorgänge auch langfristig überschauen und so Planungssicherheit garantieren zu können. Von Uruk aus nahm der Siegeszug der Keilschrift, die rasch weite Verbreitung fand, seinen Lauf. Reste der von gewaltigen Tempelanlagen, riesigen Verwaltungsgebäuden, Vorratsspeichern und künstlich angelegten Kanälen geprägten Stadtanlage der Frühzeit zeugen auch heute noch von der Tatkraft und dem Organisationstalent der ersten Fürsten von Uruk. Im Gilgamesch-Epos sind Erinnerungen an diese frühe Zeit wachgeblieben.


17

"Keilschrifttexte dokumentieren, daß Gilgamesch schon in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends als Gott verehrt wurde, dem Opfer dargebracht und auch von einfachen Leuten Weihegeschenke zugeeignet wurden."


2. Schrott 2001, 9-10.


9

"... die frühe urbane Architektur hatte bereits um 3200 mit der Stadt Uruk, die in der Bibel Erech genannt und zu den ersten vier Städten der Völkertafel gezählt wird, einen Höhepunkt

erreicht. Was die Deutsche Orient-Gesellschaft dort ausgrub, umfaßte an die 6 km2 und hatte gleich zwei heilige Bezirke. Dies läßt sich möglicherweise dadurch erklären, daß in Uruk zwei Orte zusammengewachsen waren, die sich an einer Furt des Euphrat gegenüberlagen. Zentrum der Stadt war eines der größten Heiligtümer Babyloniens, das durch alle Jahrtausende gepflegt wurde, das Eanna-Viertel mit zentralen Kultbauten. Geweiht war der Bezirk - in dessen Mitte sich bald eine mehrstufige Zikkurat erhob - der Liebes- und Kriegsgöttin Inanna/Ishtar. Er bestand aus großen hallenartigen Tempeln, Verwaltungs- und Versammlungsgebäuden, die außen mit aufwendigem Nischenschmuck gegliedert, mit Mosaiken aus Ton- und Steinstiften verziert waren und Dächer trugen, für die man gewaltige Baumstämme hatte beschaffen müssen - und das in einer Gegend, wo schon damals keine geeigneten Bäume wuchsen. Außerhalb dieses zentralen Gebiets existiert ein zweiter Bereich mit nicht weniger spektakulären Architekturresten, rund um den sogenannten weißen Tempel. Dabei handelt es sich um einen auf einer Terrasse errichteten Tempel, wobei diese Terrasse immer wieder überbaut wurde und damit in die Höhe wuchs. Auf diese Weise über die Jahrhunderte immer wieder aufgestockt und ummantelt, ragte er schließlich 11m über die Ebene. Neben diesen Kultanlagen gab es einen Hafen, Handwerkerviertel, Schafställe, Palmenhaine und Lehmgruben - all dies umgeben von einer [10] 9,5 km langen, doppelten Ringmauer. Hinter ihr lebten je nach Schätzung zwischen dreißig- und siebzigtausend Menschen, die mit Abstand größte Ansiedlung der Epoche, weit größer noch als Athen oder Rom am Beginn ihrer Zeit: Uruk war also die erste Großstadt der Welt. Als Erbauer ihres Schutzwalls nennt eine Inschrift aus der Zeit um 1800 Gilgamesh (eigentlich Bilgamesh auf Sumerisch); die aus der Zeit um 1950 stammende Sumerische Liste, auf der die Könige vor und nach der Flut verzeichnet sind, führt ihn als fünften König jener nachsintflutlichen Dynastie an, die mit einem gewissen Meskiaggasher beginnt, dem Sohn des Sonnengottes. Gilgamesh, so heißt es dort, war der Sohn eines en-Priesters von Kullab, eines líl-Dämons (was weit auslegbar ist: Enkidu, als erster und wilder Mensch, wird so bezeichnet; líl läßt sich aber auch mit dem Windhauch und dem Traumgott in Verbindung bringen oder kann >ein Niemand, ein Unbekannter< bedeuten); er soll legendäre 126 Jahre regiert haben; sein Sohn Urlugal dann nur 30. Als >historische Persönlichkeit< setzen ihn chronologische Querbezüge um 2650 v. u. Z. an.

Realpolitik war es jedenfalls, die die verhältnismäßig neue Institution eines Herrschers nicht nur als obersten Richter und Repräsentanten einer privilegierten Schicht sah, sondern ihm darüber hinaus auch priesterliche Funktionen gab und ihn mit dem Ornat des Göttlichen ausstattete - ansatzweise vergleichbar mit dem divus, das die Griechen und Römer ihren Herrschern zugestehen mußten: der Name Gilgamesh ist denn auch in allen Texten mit einem Sternchen versehen, das ihn als göttlich ausweist. Die Legendenbildung dürfte bereits bald nach seinem Tod begonnen haben. Ein noch diskutierter Text aus Ebla um 2450 spielt jedenfalls bereits auf einen göttlichen König von Uruk an,jenen vom Zedernwald, der den Himmelsstier umbrachte."


Exkurs ZIKKURAT:

Die Zikkurat, Ziqqurrat, Zikkurrat, Ziggurat oder Schiggorat (babylonisch „hoch aufragend, aufgetürmt“; „Himmelshügel“; „Götterberg“) sind typische pyramidenartige Stufentempel Mesopotamiens. Die biblische Überlieferung des Turmbaus zu Babel geht möglicherweise auf einen solchen Zikkuratbau zurück. Der sumerische Bericht, der die Sprachenverwirrung“ erklärt, war den Juden aus der babylonischen Gefangenschaft bekannt.


VI. Mythentheorie

1. Andreas - Papier vom 22.1.2009


Einige Überlegungen zu Begriff und Wesen des „Mythos“

(Leicht bearbeitete Auszüge aus: „Zur Rolle der Frau in der attischen Tragödie“)

Der Konsens zur Definition von „Mythos“ reduziert sich auf „traditionelle Erzählung“ Diese Ansicht bestätigt u.a. C. Zimmermann, a.a.O., S. 23.. Das ist nicht viel und bleibt eng an der direkten Wortbedeutung des griechischen Terminus.Vgl. z.B. ebd., S. 15 oder Vernant, Mythos, a.a.O., S. 188. Mythos ist unter formalen Gesichtspunkten eine tendenziell offene, erzählende Sequenz.

Einen eingrenzenden Zugang bieten verschiedene Gedanken zu Entstehung, Entwicklung und Funktion von Mythen.

Nach Erich Fromm „geht der Mythos aus dem Unterbewußten der Menschheit in ähnlicher Weise hervor, wie der Traum aus dem Unterbewußtsein des Einzelnen“ Zitiert nach Käfer, a.a.O., S. 18., wäre also notwendig auftretende, gleichwohl aber nicht zu steuernde Verarbeitung von Realität.

Die Gegenposition scheint vertreten von Horkheimer und Adorno, die annehmen, daß Mythos begreiflich machen, erklären will und also durch dieses Wollen so etwas wie (aktive) Aufklärung ist. Aufklärung aber mit dem Ziel der Erkenntnis der Ohnmacht.Vgl. ebd., S. 17 entsprechende Gedanken zur Dialektik der Aufklärung.

Bei Hans Blumenberg geht der Ansatz der bewußten Entstehung bzw. Schöpfung des Mythos mit der Funktion desselben Hand in Hand - hier auf die Formel gebracht, daß Mythos ein „Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“ sei, in der Absicht, mit dem „Schrecken des Realen“ durch „Schaffung eines Sinnganzen“ zu versöhnen.Blumenberg nach C. Zimmermann, a.a.O., S. 11 f. Seine Aufgabe ist es, „Modelle zu offenbaren und damit der Welt und dem menschlichen Dasein eine Bedeutung zu verleihen“ M. Eliade, zitiert nach Münkler, Odysseus, a.a.O., S. 7 f.. Durch Komplexitätsreduktion füllt er die Lücke, die Rationalität nicht schließen kann.Vgl. ebd. und C. Zimmermann, a.a.O., S. 12.

Oder werden die alten Erzählungen eher beiläufig zu Mythen - durch stetig wiederholtes Aufgreifen der Themen in bildender Kunst und Literatur,„Mit der Adaption der Schrift werden die Mythen zu Literatur.“ So C. Zimmermann, a.a.O., S. 32. durch immer wieder Erzählen, Neuerzählen, Weiterspinnen, Umdeuten?Dieser Gedanke ebd., S. 35 und bei Tyrrell und Brown, a.a.O., S. 10.

Mythos ist also im Fluß. Aber gerade die verschiedenen erfolgenden Umdeutungen und Schwerpunktssetzungen deuten auf die politische Dimension des Phänomens hin:

„Das nämlich war seit jeher das Bestreben derer, die Mythen gedeutet haben: die Bedeutung der mythischen Erzählung eindeutig werden zu lassen, sie zu präzisieren und festzulegen, um so beispielsweise dem Gründer eines Gemeinwesens mythischen Glanz zu verleihen, um Vorbilder zu schaffen, die zur Nachahmung einladen, um bestimmte Aspekte von Entwicklungen unsichtbar werden zu lassen, schließlich auch, um Mut zu machen und Selbstvertrauen zu geben.“ Hier sieht MünklerOdysseus, a.a.O., S. 8. Deutungseliten am Werk, die sicher eine bedeutende Rolle spielen. Nichtsdestoweniger wäre eine Gleichsetzung von Mythos mit Ideologie (im Sinne von herrschaftsstützender Fehlmeinung) zu kurz gegriffen.

Über diese erzieherische, handlungsanleitende Dimension hinaus ist Mythos auch auf subtilere Art soziologisch-politisch:

„Myths (...) constitute a discourse (...) through which members of the community - those who share the same myths - use the past to think about the present.“

So Tyrrell und Brown. Und weiter:

„Mythic discourse is political in that a group of people identify themselves as related to one another and distinct to other groups by telling the same myths.“ Tyrrell und Brown, a.a.O., S. 8 und S. 133.


So ein „Mythos“, ob zu Ödipus, zu Beowulf oder Gilgamesch hat also vielfältige Bedeutung, Wirkung. Wie ungleich höher müsste diese Bedeutung sein, wenn eine solche „traditionelle Erzählung“ als verbürgter Tatsachenbericht aufgefasst würde. Um diesen Gedanken im Blick zu behalten, hier noch eine weitere (allerdings auf die Griechen bezogene) Passage aus der „Rolle der Frau“:


Die Frage nach der Wahrheit der Mythen scheint aber eine in der historischen Perspektive konstruierte, oder anders ausgedrückt, eine für den Zeitgenossen sich nicht stellende zu sein.

„The authority imparted by time and by the voice of Homer and countless other poets had conditioned the Greeks to believe that their myths held truth.“ Tyrrell und Brown, a.a.O., S. 7.

Oder direkter:

„Der Mythos war grundsätzlich wahr.“ C. Zimmermann, a.a.O., S. 30.

Bis zu Thukydides, dessen Darstellungsobjekt Peloponnesischer Krieg und vielleicht auch dessen Persönlichkeit den Ausgang des 5. Jh., den Abgang des klassischen Athen und damit auch der Hoch-Zeit der Tragödie markiert, ist das genannte Verhältnis Mythos - Geschichte offensichtlich überaus unkritisch und gleichsetzend betrachtet worden. Die ForschungZ.B. ebd., S. 17 ff., Thomas, a.a.O., S. 81 f., Lesky, a.a.O., S. 69 ff., Kenkel, a.a.O., S. 8 oder Schadewaldt, Geschichtsschreibung, a.a.O., S. 82 aber auch Nietzsche, Nutzen und Nachteil, a.a.O., S. 170. ist sich daher in der Beurteilung der Begriffe als im Verständnis der Zeit (annähernd) gleichbedeutend einig.